Digitale Hilfe für Skoliose-Patienten

© Technische Universität Berlin

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Die Therapie einer Skoliose ist mühsam, das gilt gerade für die meist jungen Betroffenen. Forscher arbeiten jetzt an einer unterstützenden App für das Smartphone.

Als Nina vier Jahre alt war, attestierte der Arzt bei ihr eine Skoliose, eine starke seitliche Verkrümmung und Verdrehung der Wirbelsäule. Sie bekam ein Korsett. Fünf Jahre lang musste sie es beim Schlafen tragen, schreibt sie im Online-Forum des Bundesverbandes Skoliose-Selbsthilfe e.V. Als sie neun war, standen ihre Wirbel fast wieder gerade. Jedenfalls fürs Erste.

Das Krankheitsbild Skoliose

Rund vier Prozent der Bevölkerung sind von Skoliose betroffen – Frauen wesentlich häufiger als Männer. Die meisten Skoliosen treten im Alter von zehn bis zwölf Jahren auf. Während des Wachstums verkrümmt sich die Wirbelsäule, weil die Wirbelkörper an einer Seite langsamer wachsen als an der anderen. Warum das passiert, ist bislang nicht bekannt. Als Ursache diskutiert werden hormonelle und muskuläre Störungen, aber auch genetische Belastungen / Faktoren. Zu Beginn ist eine Skoliose meist nicht schmerzhaft, wird von vielen Betroffenen aber als optisch störend empfunden. Bleibt die Skoliose unbehandelt und nimmt sie über die Jahre zu, kommt es meist zu starken Rückenschmerzen. Manchmal kann die Verkrümmung sogar die Funktion der inneren Organe beeinträchtigen.

Denn offenbar hatte der Arzt die Behandlung zu früh abgesetzt. Ihre Wirbel krümmten sich zurück und sie musste das Skoliose-Korsett praktisch rund um die Uhr tragen. Dazu kamen die regelmäßigen Gymnastikübungen. Das durchzuhalten, fiel dem jungen Mädchen enorm schwer. Oft vergaß Nina die Übungen oder weigerte sich, das Korsett anzuziehen. Der Arzt machte ihr Vorwürfe, sie war noch frustrierter und ihre Skoliose verschlimmerte sich.

Party statt Korsett

Ninas Fall ist keine Ausnahme, weiß Carolin Reuschel vom Bundesverband Skoliose-Selbsthilfe. „Gerade in der Pubertät haben die Jugendlichen andere Dinge im Kopf“, meint sie. Die 30-Jährige spricht aus eigener Erfahrung. Auch sie hatte eine mittelschwere Skoliose und musste in der Pubertät vier Jahre lang ein Korsett tragen. „In dem Alter denkt man an Partys“, sagt Reuschel, „nicht ans Rückentraining.“

Tatsächlich ist ein Skoliose-Korsett nicht nur schwer zu verstecken, es verändert auch den Gang und verursacht mitunter Schmerzen bei einer falschen Haltung. Die Therapie durchzuhalten, erfordert eine Menge Disziplin.

App soll motivieren

Deshalb entwickelt ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern in Berlin im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „Bewegungsfähigkeit und Mobilität wiedererlangen“ (BeMobil) zurzeit eine App speziell für jugendliche Skoliose-Patienten. „Die App“, sagt die Psychologin Susanne Dannehl, die an der Technischen Universität (TU) Berlin im Bereich Medizintechnik forscht, „soll den Nutzern klar machen, dass sie ihre Krankheit selbst im Griff haben.“

Deshalb arbeiten die Forscher von BeMobil eng mit den jungen, meist weiblichen Patienten zusammen. „Wichtig ist den Jugendlichen, dass die App ihnen hilft, sich ohne Schmerzen mit dem Korsett zu bewegen“, berichtet Dannehl, „und dass sie sich ihre Ziele selbst setzen können.“

Das Skoliose-Korsett

Welche Behandlung die richtige ist, hängt vom Ausmaß der Skoliose ab. Gemessen wird diese über den sogenannten Cobb-Winkel. Ist die Wirbelsäule stärker als 20 bis 25 Grad verbogen und verdreht, bekommen viele Betroffene ein Korsett verschrieben. Das Skoliose-Korsett lenkt und begradigt das Wachstum der Wirbelsäule und korrigiert die Verkrümmungen. Bei einer Verdrehung um mehr als 40 bis 50 Grad kann eine Operation nötig werden, bei der die Form der Wirbelsäule korrigiert und stabilisiert wird.

Dazu haben die Forscher ein eigenes Sensorsystem entwickelt. Es misst nicht nur, wie lange die Betroffenen ihr Korsett tragen, sondern auch, wie sie sich darin bewegen, wie sie atmen, an welchen Stellen es drückt. Im Anschluss werden die Daten via Bluetooth aufs Smartphone übertragen und mit der App ausgewertet.

„Eine solche zeitnahe Rückmeldung“, sagt Dannehl, „macht die Erfolge der Therapie direkt erlebbar, stärkt das Selbstvertrauen und motiviert.“ Marktreif ist die Technik zwar noch nicht, aber Forscherin Dannehl ist optimistisch: „Die ersten Nutzertests finden bald statt.“

Erfolgreicher Neuanfang

Nina hat unterdessen ihre Therapie wieder aufgenommen. Ihr Zustand hatte sich so sehr verschlechtert, dass die Ärzte ihr sogar zur Operation rieten. Doch das kam für die mittlerweile 15-Jährige nicht in Frage. Stattdessen ging sie für einige Wochen in eine Rehaklinik speziell für Skoliose-Patienten. Hier wurde ihr ein neues Korsett angepasst. „Endlich habe ich die genauen Zusammenhänge verstanden“, schreibt Nina. Und die Orthopädin dort ist mit ihren Fortschritten sehr zufrieden.