„Motivation ist nicht alles“

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An der Hamburger Universitätsklinik Eppendorf (UKE) wurde 2014 die Deutsche Gesellschaft für Lebensstilmedizin gegründet. Geschäftsführer und Ernährungsexperte Dominik Dotzauer erklärt, was es mit der neuen Fachrichtung auf sich hat.

Redaktion: Was bedeutet Lebensstilmedizin?

Dominik Dotzauer: Die gezielte Änderung des eigenen Lebensstils zur Prävention von und Therapie bei Krankheiten. Wir wissen, dass etwa Depressionen, Rückenschmerzen, Diabetes Typ 2 und Adipositas, aber auch Herzinfarkte und Schlaganfälle davon abhängen, wie wir uns ernähren, bewegen und mit Stress umgehen.

Das bekommen Patienten doch oft genug von ihrem Arzt gesagt.

Richtig. Die Information kommt sicher an. Bei der notwendigen Umsetzung – und wir reden hier von einer echten und andauernden Verhaltensänderung – lassen Ärzte ihre Patienten jedoch meist allein.

Eine Frage des sozialen Umfeldes

Weil Krankenkassen diese Begleitung nicht bezahlen?

Das ist ein Punkt. Wer lediglich 30 Euro pro Patient im Quartal bekommt, schaut bei der Sprechstunde zwangsläufig auf die Uhr. Einen individuell auf den Patienten abgestimmten Plan kann man nicht in sechs Minuten basteln. Leider gibt es bislang praktisch keine erfolgreichen Programme, die eine nachhaltige Lebensstilveränderung bei Patienten schaffen. Solange die fehlen, haben die Krankenkassen keinen Grund, ihr Anreizsystem zu ändern.

Dominik Dotzauer © Thomas Schaf

Dominik Dotzauer © Thomas Schaf

Was wollen Sie da machen?

In der Gesellschaft für Lebensstilmedizin arbeiten wir daran zu zeigen, wie stark Lebensstil und Krankheiten zusammenhängen. Und wir wollen Funktionäre und Fachkräfte für das Thema sensibilisieren. Selbst engagierte und sehr kompetente Ärzte unterschätzen oft, wie schwierig es ist, Gewohnheiten dauerhaft zu ändern.

Ist das nicht eine Frage der Motivation?

Motivation wird sehr überschätzt. Tatsächlich machen wir tagtäglich viele Dinge, auf die wir nicht wirklich Lust haben – etwa Zähneputzen. Eine ungesunde Ernährung ist daher auch eine Frage von Gewohnheiten. Und dabei spielt unser soziales Umfeld eine maßgebliche Rolle.

Wie meinen Sie das?

Essen die meisten meiner Freunde und Kollegen fast nur Döner und Pommes, wird es mir als Einzelnem schwerfallen, mich ganz anders zu ernähren. Da stecke ich in einer Gruppendynamik. Nicht umsonst bezeichnen manche Wissenschaftler Fettleibigkeit auch als „sozialen Virus“.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Und was habe ich selbst in der Hand?

Mein physisches Umfeld. Studien belegen beispielsweise, dass ich mein Essverhalten durch die Größe des Tellers beeinflussen kann.

Wie bitte?

Ist der Teller klein, esse ich automatisch weniger – und zwar unabhängig vom tatsächlichen Hunger. Das Gleiche gilt für die Gummibärchen, die ich während der Arbeit futtere. Liegt die Tüte direkt vor mir auf dem Schreibtisch, greife ich schneller und öfter zu. Befindet sie sich aber in der Schublade und damit außerhalb meines Sichtfelds, esse ich automatisch viel weniger.

Um meinen Lebensstil zu ändern, muss ich also zuerst herausfinden, wie mein Gehirn funktioniert.

Genau. Unser Gehirn muss umlernen.