„Ohne das Stoma säße ich heute nicht hier“

Anja Böhringer © privat

Anja Böhringer © privat

Anja Böhringer ist 50 Jahre alt und lebt seit zwei Jahren mit einem künstlichen Darmausgang, einem sogenannten Stoma. Uns erzählt sie, wie es dazu kam und warum sie für das Stoma dankbar ist.

Warum brauchten Sie einen künstlichen Darmausgang?

Ich hatte ein Jahr lang starken Durchfall, irgendwann sogar Blut im Stuhl. Der Arzt diagnostizierte Darmkrebs und von da an ging alles ganz schnell. Ich bekam eine Chemo – durch die Bestrahlung verkleinerte sich der Tumor und wenige Wochen später wurde ich bereits operiert. Das Stoma sollte eigentlich nur vorübergehend sein.

Was änderte den Plan?

Der Tumor saß zu nah am Schließmuskel. Das merkten die Ärzte allerdings erst während der Operation. Als ich aufwachte, sagte mir einer der Pfleger: „Da geht nichts mehr.“

Ein Schock?

Absolut. Doch letztendlich ging es nicht anders.

Der Wechsel des Beutels ist etwas sehr Intimes

Wie geht es Ihnen heute?

Viel besser. Aber mein Körper ist nach wie vor sehr geschwächt. Spätestens nach einer Stunde Gartenarbeit bin ich völlig erledigt. Beim Husten, Niesen und Lachen muss ich mir den Bauch festhalten. Nicht weil ich Schmerzen habe, aber durch den Druck und die Kontraktionen habe ich das Gefühl das Stoma könnte gleich rausfliegen – auch, wenn es das natürlich nicht tut.

Was ist ein Stoma?

Als Stoma (griech. „Mund“ oder „Öffnung“) bezeichnen Ärzte eine nach einer Operation geschaffene Körperöffnung, durch die ein kleines Stück des Darmes oder der Harnleiter nach außen auf die Hautoberfläche gelegt wird. Auf diese Weise wird ein künstlicher Ausgang geschaffen. Stuhl und Urin scheiden die Stomaträger nun nicht mehr auf natürlichem Wege aus, sondern sie werden durch das Stoma nach außen abgeleitet und in einem an ihm befestigten Beutel gesammelt.

Sind Sie noch berufstätig?

Nein. Meinen Job als Anstreicherin musste ich aufgeben. Seit der Operation bekomme ich eine Erwerbsminderungsrente.

Können Sie eigentlich alles essen?

Nein. Lebensmittel wie Champignons verdaue ich nicht, sondern sie rutschen einfach so durch. Im schlimmsten Fall verstopfen sie sogar den Darmausgang. Nach der Operation hatte ich daher sehr lange Durchfall.

Und heute?

Ich habe mich mit meiner Ernährung auseinandergesetzt und gelernt, was ich essen kann und was nicht. Bananen sind okay, Faserhaltiges wie Spargel nur, wenn ich ihn ganz klein schneide. Damit ich meinen Stoma-Beutel nicht so oft wechseln muss, versuche ich allerdings, tagsüber so wenig wie möglich zu essen. Eine richtige Mahlzeit gibt es bei mir eigentlich nur abends. Dann bin ich zu Hause und kann den Beutel in Ruhe wechseln.

Wie viele Beutel benötigen Sie am Tag?

Ein bis zwei. Das kommt darauf an, was und wie viel ich esse. Aber in der Regel reicht mir ein Beutel. In den passen rund 100 Milliliter.

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Ein Stoma verändert das Leben

Was ist, wenn Sie den Stoma-Beutel unterwegs wechseln müssen?

Das ist kein Problem. Dann suche ich mir ein Restaurant und gehe kurz auf Toilette. Der Wechsel ist für mich allerdings etwas sehr Intimes. Wenn ich die Wahl habe, mache ich das lieber zu Hause.

Wie geht Ihr Mann damit um, dass Sie jetzt einen künstlichen Darmausgang haben?

Er unterstützt mich, wo er kann. Aber dieser Beutel zwischen uns, wenn wir uns umarmen, war vor allem am Anfang schwierig für ihn – für mich natürlich auch.

Wer hat Ihnen noch geholfen?

Meine Stomaberaterin. Sie begleitet mich seit der Diagnose. Nach der Operation kam sie einmal die Woche zu mir nach Hause, hat mir beim Wechseln und Reinigen geholfen und mit mir zusammen die passenden Beutel ausgesucht.

Wenn Sie von all dem erzählen, wirken Sie überhaupt nicht deprimiert.

Das bin ich auch nicht. Fakt ist: Das Stoma hat mein Leben enorm verändert. Trotzdem bin ich dafür dankbar. Ohne das Stoma säße ich heute nicht hier.