Pharmareferenten als unabhängige Ärzteberater?

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Pharmareferenten besuchen Ärzte in ihren Praxen, um ihnen neue Medikamente vorzustellen – das ist bekannt. Dass Ärzte sich ihrerseits aktiv an die Vertreter wenden, um sich bezüglich der Behandlung ihrer Patienten beraten zu lassen hingegen weniger.

Nicht jeder Arzt ist Pharmakologe. Gerade, wenn es um die Behandlung mit neuen, gerade erst zugelassenen Medikamenten geht, muss ein Arzt aktuell informiert sein. Ist er sich in der Medikation dennoch unsicher, kann er sich beispielsweise an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) wenden. Sie ist ehrenamtlich organisiert, gibt evidenzbasierte Informationen, warnt vor unerwünschten Nebenwirkungen und hilft, Behandlungsrisiken richtig einzuschätzen. Einige Ärzte greifen bei etwaigen Unsicherheiten jedoch lieber gleich zum Telefon und rufen den Pharmavertreter an. “So etwas geht gar nicht, hier wird Werbung mit Information vermischt”, meint Dr. Christiane Fischer, Ärztliche Geschäftsführerin des Vereins MEZIS (kurz für “Mein Essen zahl’ ich selbst”), der sich seit Jahren intensiv für die Unabhängigkeit der Ärzteschaft einsetzt.

Neutrale Informationen

Neben der AkdÄ werden Ärzte auch über den unabhängigen Arzneimittelbrief oder das Arzneimitteltelegramm über unerwünschte Neben- und Wechselwirkungen informiert. In dringenden Fällen informieren die Hersteller die Ärzteschaft über den Rote-Hand-Brief. Die Zeitschrift “Gute Pillen – Schlechte Pillen” bietet pharmaunabhängige Informationen für medizinische Laien.

Ärzte lassen sich von Pharmavertretern beraten

Dass Ärzte von Pharmareferenten besucht werden, ist gängige Praxis. In Deutschland darf für verschreibungspflichtige Arzneimittel keine Werbung bei Laien gemacht werden, daher nutzen viele Pharmaunternehmen diesen Weg, um insbesondere neue Medikamente in der Arztpraxis vorzustellen. Dass Ärzte sich allerdings selbst an Pharma-Vertreter wenden, ist den wenigsten bekannt. “Oft rufen Ärzte mich nicht nur an, wenn sie Fragen zum Produkt haben”, erzählt eine Pharmareferentin, die anonym bleiben will: “Viele lassen sich auch zu konkreten Fällen beraten.” Sie arbeitet für ein forschendes Unternehmen und ist für den Vertrieb eines teuren Hepatitis C-Medikaments zuständig. Anders als die Mitglieder der Arzneimittelkommission kenne sie “ihre” Ärzte persönlich. Das schaffe Vertrauen, so die Referentin. Zudem wüssten die Ärzte, dass sie bei ihr jederzeit anrufen könnten und sie von ihr als “Expertin” schnell und unkompliziert beraten würden.

Naivität der Ärzte

“Dass Ärzte wirklich glauben, sie würden von einem Pharmavertreter objektive Informationen erhalten, ist schon erschreckend naiv”, meint Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, Facharzt für Klinische Pharmakologie und Ehrenmitglied der AkdÄ. Die Pharmaunternehmen verfolgten logischerweise wirtschaftliche Interessen. Im Zentrum stehe deshalb die Vermarktung des Produktes. So sieht das auch Dr. Kai Behrens, Pressesprecher des AOK-Bundesverbands: “Als verlässliche Informationsquelle bei der Anwendung neuer Arzneimittel scheiden Pharmareferentensomit aus.”

Das Bundesministerium für Gesundheit sieht das ärztliche Verhalten weniger kritisch. Aufseiten des Ministeriums heißt es lediglich, dass es darüber, wie Ärzte an ihre Auskünfte gelangen, keine konkreten Richtlinien gäbe. Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft von Bündnis 90/Die Grünen, sieht das anders. Rein rechtlich könne man gegen das Verhalten zwar nichts machen, doch seien Pharmavertreter ihrer Meinung nach keine unabhängige Informationsquelle.

Viele Ärzte halten die Besuche des Pharmavertreters für unverzichtbar

Wie oft sich Ärzte an pharmazeutische Vertreter wenden, ist nicht bekannt. Einer Umfrage zufolge, die Prof. Dr. Klaus Lieb von der Universitätsmedizin Mainz unter 300 Ärzten durchgeführt hat, erhalten jedoch bis zu 77 Prozent der Ärzte mindestens einmal pro Woche von einem Pharmavertreter Besuch, jeder Fünfte sogar täglich. Viele der Befragten bewerteten die Medikamenteninformationen sogar als unverzichtbar, mehr als die Hälfte würde es als Verlust empfinden, nicht mehr besucht zu werden. Das Fazit der Studie: Ärzte müssten eine kritischere Haltung entwickeln, zudem sollten mehralternative Informationsangebote geschaffen werden.

Mangelnde Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker

ARNIM

Das Projekt setzt sich aus drei Modulen zusammen: der Wirkstoffverordnung, dem Medikationskatalog und dem Medikationsmanagement. Neben der Therapiesicherheit geht es in ARNIM auch darum, die Therapietreue des Patienten zu verbessern und die Gesundheitsausgaben zu dämpfen.

Schulz-Aschekommt zu einem anderen Fazit. “Warum rufen die Ärzte nicht einfach mal beim Apotheker an, wenn sie bei der Verschreibung eines Medikaments unsicher sind?”, fragt die Grüne und fordert eine stärkere Vernetzung unter den einzelnen Berufsgruppen. Die notwendigen Stellen, die den Arzt unabhängig informieren gäbe es, nur müssten die Betreffenden sie auch nutzen.

Einen ersten Modellversuchgibt es bereits. Im April 2014 haben die Landesapothekerverbände der Kassenärztlichen Vereinigung sowie die AOK PLUS das Pilotprojekt “Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen” (ARNIM) gestartet. Ein Versuch die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern zu verbessern.