Was ein Zika-Baby für Familien bedeutet

© picture alliance/AP Photo

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Vor einem Jahr explodierte in Brasilien die Zahl der Zika-Fälle. Damit einhergehend wurden etliche Babys mit Schädelfehlbildungen geboren. Wie leben die Familien mit betroffenen Kindern? Ein Besuch.

Der Kopf von Valentina ist zu klein, auch wenn man das erst auf den zweiten Blick sieht. Apathisch liegt sie im Kinderwagen, schläft fast die ganze Zeit. Zika. Vor gut einem Jahr ist Fabiane Lopes das mysteriöse Z-Wort noch unbekannt, aber ab November sind immer mehr unheimliche Berichte in der Zeitung zu lesen. Valentina, ihr siebtes Kind, kommt am 16. Dezember 2015 zur Welt. Fehlgebildet. Sie kann sich kaum bewegen und muss mit einer Sonde ernährt werden.

In der 24. Schwangerschaftswoche stellt ein Arzt fest, dass etwas nicht stimmt, die Diagnose steht rasch fest: Mikrozephalie. Bisher galt als eine mögliche Ursache, dass die werdende Mutter viel Alkohol trinkt. Fabiane Lopes aber hatte während der Schwangerschaft, im dritten Monat, auf einmal rote Flecken am Körper und Fieber. Zu der Zeit ist im Land nicht bekannt, was diese Symptome bedeuten können – später wird sich herausstellen, dass ein Virus kursiert, das schwere Fehlbildungen bei Babys im Mutterleib verursachen kann.

Das Zika-Virus – von der Entdeckung bis ….

Vor fast 70 Jahren wurde das Zika-Virus entdeckt, mittlerweile gilt es als globale Bedrohung.

  • 1947: Bei einem Rhesusaffen aus dem Zika-Wald in Uganda wird das Virus erstmals nachgewiesen.
  • 1952: Forscher finden den Erreger bei Menschen in Uganda und Tansania. In den folgenden Jahrzehnten werden nur vereinzelte Infektionen aus Afrika und Südasien bekannt.
  • 2007: Im Pazifik-Raum häufen sich Infektionen. Seit 2013 gibt es nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weitere Fälle in Afrika und Amerika.
  • April 2015: Forscher einer Universität in Salvador stellen das Virus erstmals in Brasilien fest.
  • Oktober 2015: Eine Häufung von Schädelfehlbildungen bei Neugeborenen geht nach Ansicht von Fachleuten auf das Virus zurück. Die Regierung führt eine systematische Erfassung der Mikrozephalie-Fälle ein.
  • Dezember 2015: Nach Angaben der brasilianischen Regierung ist die Zahl der Verdachtsfälle im Land sprunghaft gestiegen.

Das Gehirn wächt und der Kopfumfang nimmt zu

Nach Schätzungen haben sich inzwischen rund 1,5 Millionen Menschen in Brasilien mit Zika angesteckt. Ebenso wie Dengue und Chikungunya, die schon länger in der Region kursieren, wird das Virus vor allem von der Gelbfiebermücke Aedes aegypti übertragen. Da die Symptome oft sehr milde sind, merkt allerdings nur etwa jeder Fünfte überhaupt etwas von der Infektion.

Bei Fabiane Lopes wird noch nicht auf Zika getestet und die Infektion nicht erkannt. Valentina kommt zur Welt. „Ich hadere nicht: Das ist das Leben. Wir müssen damit zurechtkommen“, sagt Lopes in ihrer Wohnung in Duque de Caxias vor den Toren Rio de Janeiros. Seit vergangenem Jahr wurden mehr als 2100 bestätigte Fälle von schweren Schädelfehlbildungen bei Neugeborenen erfasst in Brasilien, das am stärksten von der Zika-Epidemie betroffen ist.

„Die Zunahme des Kopfumfangs wird getrieben vom Wachstum des Gehirns“, erklärt die Kinderneurologin Ingeborg Krägeloh-Mann, Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). „Bei einem Kind mit deutlich zu kleinem Kopf ist darum sofort klar, dass beim Hirnwachstum etwas nicht normal gelaufen ist.“

„Alle redeten auf einmal von Zika“

Zwei Mikrozephalie-Ausprägungen werden demnach unterschieden: Ein strukturell normales, aber zu wenig gewachsenes Gehirn, das mit kognitiven Störungen wie Lernproblemen einhergeht. „Und ein in bestimmten Bereichen geschädigtes Gehirn, dessen Architektur vom Normalen abweicht.“ Bei dieser Form kämen in vielen Fällen zu einer geistigen Behinderung noch epileptische Anfälle, Bewegungs- und Sehstörungen hinzu – wie sie bei vielen Zika-Kindern diagnostiziert wurden.

Solche Schäden seien auch bei anderen Virusinfektionen vor allem in der ersten Schwangerschaftshälfte möglich, wenn die Grobarchitektur des Gehirns entsteht – bei Zytomegalie, Toxoplasmose, Röteln und Herpes beispielsweise. „Die Wahrscheinlichkeit, dass betroffene Kinder Regelschulniveau erreichen, ist sehr gering“, erklärt Krägeloh-Mann, Ärztliche Direktorin an der Abteilung Neuropädiatrie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Tübingen. Meist benötigten sie ständige Betreuung – und das lebenslang. Auch der Förderbedarf sei hoch, um Sehen, Bewegung und kognitive Fähigkeiten zu verbessern.

… zur Erprobung von Impfstoffen

  • Januar 2016: Behörden in Jamaika und Kolumbien empfehlen, geplante Schwangerschaften aufzuschieben. In Deutschland gibt es mehrere Fälle bei zurückgekehrten Reisenden. Es wird bekannt, dass Zika auch durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen werden kann.
  • Februar 2016: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärt wegen des Zika-Virus und seiner möglichen Verbindung zu Schädelfehlbildungen den globalen Gesundheitsnotstand. Damit sollen koordinierte internationale Maßnahmen erleichtert werden.
  • April 2016: Die US-Gesundheitsbehörde CDC teilt mit, auf Basis diverser Studien sei der Zusammenhang zwischen Zika und möglichen Schädelfehlbildungen bewiesen.
  • Juli 2016: In Spanien wird die Geburt eines infizierten Babys mit einer Schädelfehlbildung gemeldet. Es ist der erste bekannte Fall in Europa.
  • August 2016: Auf der Suche nach einem Impfstoff machen Forscher entscheidende Fortschritte. Die US-Gesundheitsbehörde NIH testet ein Mittel an Menschen. Weitere experimentelle Impfstoffe werden an Affen erprobt.
  • November 2016: Die Zahl der bekannten Infektionen in Deutschland ist binnen eines Jahres auf mehr als 200 gestiegen, wie das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin mitteilt. Die WHO hebt den globalen Gesundheitsnotstand wieder auf. Die Ausbreitung des Virus bleibe aber ein schwerwiegendes Problem, heißt es.

„Alle redeten auf einmal von Zika“, erinnert sich Valentinas Mutter Fabiane Lopes. Sie ist heute arbeitslos, bekommt 880 Reais staatliche Unterstützung im Monat, 240 Euro. Es gibt mehrere Väter, die kaum etwas zahlen. Vier Kinder leben bei der Mutter. Als Valentinas Vater 2015 hört, dass sie mit einer Schädelfehlbildung zur Welt kommen würde, sagt er: „Wenn Du abtreibst, helfe ich Dir“. Sie lehnt ab, er macht sich davon. Immerhin bilden sich überall schnell Hilfskomitees. Die Organisation Cabeça e Coração (Kopf und Herz) schildert das Schicksal von Mutter Fabiane und Valentina und sammelt Milchspenden, Kleidung, einen Kinderwagen.

Die Hilfsbereitschaft sinkt

Heute, ein Jahr später, ist es ein täglicher, harter Kampf. Die Zika-Welle ist etwas abgeebbt, die Lage in Brasilien aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit verschwunden. Und die Hilfsbereitschaft gesunken. „Der Staat hilft mir auch kein Stück“, sagt Lopes. Wenn ein Kind Mikrozephalie habe, aber die nötigen Hilfen bekomme, könne es sich sehr wohl gut entwickeln, Fortschritte machen. „Sie erzählen mir etwas von Wasser- und Musiktherapie, aber ich warte jetzt acht Monate, dass ich überhaupt mal einen Orthopäden bekomme.“ Hinzu komme, dass jede Fahrt zur Klinik Geld für den Bus kostet. Geld, das sie kaum hat. Ganz zu schweigen vom Geld für Medikamente.

Weil wegen Olympia und eingebrochenen Erdöleinnahmen der Bundesstaat Rio de Janeiro fast pleite ist, ist die Versorgung in Krankenhäusern ohnehin katastrophal. Seit Valentina geboren ist, sorgt Fabiane mit Hilfe einer „zweiten Mama“ für sie, ihrer achtjährigen Tochter María Eduarda, und mit Hilfe ihres 14 Jahre alten Sohnes Breno. Er hat die Schule abgebrochen und geht arbeiten, um der kleinen Valentina zu helfen. „Die Liebe meines Lebens“, sagt seine Mutter über ihn. Immer wieder hat Valentina Anfälle. „Wenn sie länger als fünf Minuten dauern, müssen wir sofort ins Krankenhaus rasen.“ Panik und Angst sind Begleiter ihres Alltags.

Vor ein paar Wochen hat sie ein Treffen mit anderen Müttern von Kindern mit Mikrozephalie organisiert, um sich auszutauschen. Oft sieht der Alltag Fabianes so aus, dass sie die Töchter zur Schule bringt, dann zum Krankenhaus muss. „Ich stehe um vier Uhr morgens auf, nachts kann ich kaum schlafen und viel mehr als Reis und Bohnen können wir uns zum Essen nicht leisten“, sagt sie. „Aber wenn ich Valentina sehe, wie sie versucht, die Händchen zu bewegen, oder wie sie manchmal zu lächeln versucht, das gibt mir neue Kraft.“

Von Fernando Duclos und Georg Ismar (dpa )


Ein gutes Jahr Zika-Epidemie – und noch immer viele Ungewissheiten

Mitte November hob die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den wegen der Zika-Epidemie im Februar 2016 ausgerufenen globalen Gesundheitsnotstand wieder auf. Ein schwerwiegendes Problem bleibe die Ausbreitung des Virus aber weiter, hieß es. Seit 2015 breitet sich der Erreger vor allem in Mittel- und Südamerika aus – und erobert immer neue Regionen der Welt, in denen Überträger-Mücken leben.

Wie wird Zika übertragen?

Als wichtigster Überträger gilt die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti), die in allen tropischen und einigen subtropischen Gebieten der Welt vorkommt und Menschen etwa auch mit Dengue- und Chikungunya-Viren infiziert. In welchem Umfang andere Mücken den Zika-Erreger verbreiten können, ist noch unklar. In einigen Fällen wurde das Virus auf sexuellem Weg übertragen – meist von Männern auf Frauen. Dies ist auch noch Wochen und Monate nach der Infektion möglich. Unklar ist bisher, ob das Virus durch Urin und Speichel oder über Blutspenden übertragen werden kann. Einen schützenden Impfstoff gibt es bisher nicht, ebenso wenig wie Medikamente, mit dem sich Zika-Infektionen gezielt behandeln lassen.

Welche Symptome verursacht Zika?

Typische Symptome einer Zika-Infektion sind Hautausschlag, Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen, Bindehautentzündung und mitunter Fieber. Eine Infektion insbesondere im ersten Drittel einer Schwangerschaft kann beim Fötus zu Mikrozephalie und anderen Fehlbildungen des Gehirns führen. Kinder mit Mikrozephalie werden mit einem besonders kleinen Kopf geboren, oft verbunden mit geistiger Behinderung und anderen schwerwiegenden neurologischen Störungen. Als wahrscheinlich gilt zudem ein Zusammenhang zwischen Zika und – seltenen – Fällen des Guillain-Barré-Syndroms, einem Nervenleiden.

Welche Länder sind betroffen?

Seit 2015 hat sich das Virus nach WHO-Daten in Dutzenden Ländern vor allem Mittel- und Südamerikas ausgebreitet, auch in Süd-Florida (USA) soll es durch Mücken übertragene Fälle gegeben haben. Vereinzelt werden Fälle aus Südostasien gemeldet, unter anderem aus Thailand, den Philippinen, Malaysia und den Malediven. Zika-Infektionen kommen zudem auch im tropischen Afrika vor. Die aktuelle Lage zeigt eine WHO-Karte unter http://dpaq.de/Dhchp.

Wie viele Fälle wurden in Deutschland erfasst?

Seit Oktober 2015 wurden mehr als 200 Zika-Infektionen bei Reiserückkehrern diagnostiziert. Eine sexuelle Übertragung wurde erst einmal gemeldet. In fast allen Fällen handelt es sich bei den Erkrankten um Reiserückkehrer aus Ausbruchsgebieten wie Mittel- und Südamerika.

Könnte sich die Epidemie auf Deutschland ausweiten?

Höchstwahrscheinlich nicht. Der weltweit wichtigste Überträger, die Gelbfiebermücke, kommt hierzulande nicht vor. Von der eng verwandten Asiatischen Tigermücke (Aedes albopictus) ist bekannt, dass sie inzwischen vereinzelt in Deutschland lebt. Ob sie das Virus unter den hiesigen Bedingungen übertragen könnte, ist aber unklar. „Wenn es im Sommer eine größere Anzahl importierter Zika-Virus-Fälle in Deutschland geben würde und die hiesigen Mücken das Virus tatsächlich übertragen könnten, dann wären einzelne Übertragungen in Deutschland in besonders warmen Sommermonaten nicht ausgeschlossen“, heißt es beim Robert Koch-Institut (RKI).

Was sollten Schwangere und Frauen mit Kinderwunsch beachten?

In Abstimmung mit dem RKI empfehlen das Auswärtige Amt und die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin (DTG) Schwangeren und Frauen, die schwanger werden wollen, von vermeidbaren Reisen in Zika-Ausbruchsgebiete abzusehen. Geht das nicht, ist auf ganztägigen konsequenten Mückenschutz zu achten. Wegen der sexuellen Übertragbarkeit sollten Paare die ganze Schwangerschaft über Kondome benutzen, wenn der Partner in einem Ausbruchsgebiet war. Paare mit Kinderwunsch sollten nach der Rückkehr aus einer betroffenen Region sechs Monate bis zu einer Schwangerschaft warten.

Von Annett Stein (dpa )