„Bei Laufschuhen bedeutet neu nicht immer besser“

© go3

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Der Sportwissenschaftler und ehemalige Leichtathlet Marco Krückemeier hat in Köln das Sanitätsfachgeschäft go3 aufgebaut, in dem er nicht nur Hobby-, sondern auch Profisportler versorgt. Uns erklärt er, warum Laufschuhe heute kaum noch gedämpft sind und wie man einen Schuh findet, der zu einem passt.

Redaktion: Zur Wahl des richtigen Laufschuhs bieten manche Sportgeschäfte aufwendige Bewegungsanalysen an. Bringt das wirklich etwas?

Marco Krückemeier: Für einen Läufer, der seine Leistung verbessern will, können solche Laufanalysen tatsächlich sehr hilfreich sein. Das Gleiche gilt für Menschen, die beim Joggen immer wieder Beschwerden haben. Wichtig ist, dass die Analysen richtig durchgeführt werden. Vielen Läden dient ihre Laufband- und Videoausstattung allerdings eher als Verkaufsargument – mitunter ist das Ergebnis sogar unsinnig.

Woran hapert es denn?

Welche Qualität ein Sportgeschäft hat, zeigt sich tatsächlich schon am ausgewählten Laufband. Die meisten haben ein einfaches Fließlaufband, das die Schritte des Läufers unnatürlich stark abdämpft. Besser – aber auch deutlich teurer – sind weiche Lamellenlaufbänder, auf denen ich wie auf einem Waldboden laufe und die meine Schritte nicht verfälschen. Außerdem ist bei den Laufbändern oft nur eine einzige Kamera am hinteren Ende installiert; so sieht der Verkäufer lediglich die Fersenstellung des Kunden.

Den Schuh kaufe ich doch für meine Füße.

Trotzdem muss ich den Läufer ganzheitlich anschauen. Zum Joggen gehört eben auch die Bewegung von Hüfte, Oberkörper und Armen. Menschen, die beim Laufen mit dem Oberkörper hin- und herpendeln oder stark mit den Armen schlackern, knicken beispielsweise häufig mit den Füßen nach innen. Die Schmerzen, die dadurch entstehen, haben dann nichts mit Schuhen oder Füßen zu tun, sondern mit dem Laufstil.

Pronation

Bei der Pronation (lat. pronare, „verbeugen“, „bücken“) kippt der Fuß beim Aufsetzen nach innen. Eine Einwärtsdrehung von fünf bis zehn Grad ist vollkommen normal und eine natürliche Art des Körpers, Muskeln, Bänder und Gelenke beim Aufkommen zu dämpfen. Für Menschen, deren Füße zu stark (Überpronation) oder zu schwach (Supination) pronieren, gibt es Schuhe mit abgesenkten oder höheren Außenseiten.

Supination

Die Supination (lat. supinitas, „zurückgebogene Stellung“) ist das Gegenstück der Pronation. Hier rollt der Fuß nach dem Aufsetzen über die Außenseite ab. Der innere Fußrand hebt sich, während sich der äußere senkt.

Viele Verkäufer wissen gar nicht, wie die einzelnen Modelle funktionieren

Aber es heißt doch immer, die Füße seien so etwas wie das Fundament unseres Körpers – und damit maßgeblich für unsere Haltung.

Das ist ein weitverbreiteter Mythos – jedenfalls, wenn es ums Laufen geht. Richtig ist: Solange wir im Gehtempo unterwegs sind, bestimmt die Fußmuskulatur unseren Bewegungsablauf und etwaige Fehlstellungen beeinflussen unseren Gang. Bei einer Laufgeschwindigkeit ab sechs Stundenkilometern sieht das ganz anders aus. Um dann die Kräfte eines permanent herumrotierenden Oberkörpers auszugleichen, braucht es andere, größere Körpermuskeln. Die Laufbewegung der Füße hat nur einen ganz geringen Anteil an der Gesamtbewegung des Körpers. Wobei die Auswirkungen in der Summe der Schritte natürlich doch sehr groß sein können – komplett vernachlässigen darf man die Füße also nicht.

Marco Krückemeier © go3

Marco Krückemeier © go3

Dann geht es bei Laufschuhen also eher darum, darin schmerzfrei laufen zu können?

Im Wesentlichen ja. Ich gehe davon aus, dass über 80 Prozent der in Deutschland verkauften Laufschuhe nur nach Komfort ausgewählt werden. Die Funktion steht mittlerweile leider hintan und wird auch vom Fachhandel deutlich unterschätzt. Und hier kommen wir zum zweiten Problem: Viele Verkäufer kennen die funktionalen Unterschiede der Modelle, die in ihren Regalen stehen, kaum noch oder gar nicht mehr.

Wie bitte?

Alle paar Monate legen die Hersteller ihre Schuhe in einem neuen Design auf. Dabei verändern sie aber häufig nicht nur deren Aussehen, sondern mitunter auch die Funktionalität, also den Aufbau des Laufschuhs. Oftmals richtet sich das Modell nun an eine andere Zielgruppe. In den meisten Geschäften wird es jedoch einfach als neu und besser vermarktet – egal, wer da als Kunde kommt.

Die Folge sind Knieprobleme und Hüftbeschwerden

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir den Asics Gel-Kayano. Ursprünglich war der Laufschuh für Langstreckenläufer mit einem Körpergewicht von etwa 80 Kilo gedacht und hatte eine starke Pronationsstütze, also eine Dämpfung, die verhindert, dass der Läufer zu stark nach innen wegknickt. Mittlerweile hat das Modell keine wirksame Pronationsstütze mehr. Der Fuß wird neutral geführt und die Schuhe sind eigentlich nur noch für Mitteldistanzläufer um die 60 Kilo geeignet.

Pronation, Dämpfung, neutrale Führung. Ist das nicht ein bisschen viel Wissenschaft für einen Sportschuh?

Nicht, wenn Sie das Laufen wirklich verbessern wollen. Wichtig ist, dass die Händler sich für die neuen Erkenntnisse interessieren und sie dann richtig an ihre Kunden kommunizieren. In den letzten Jahren ist seitens der Industrie sehr viel passiert – daher auch der Rückgang der Achillessehnenbeschwerden bei Läufern.

Das müssen Sie erklären.

Bis vor zehn Jahren wollte man Schuhe mit immer dickeren Gel-, Gummi- oder Luftkissen in den Sohlen, die den Fuß beim Aufsetzen vor der Pronation, also der Einwärtsdrehung schützen. Heute wissen wir, dass eine Pronation von sechs bis acht Grad ein natürliches Bewegungsmuster ist und dass die Stoßkräfte beim Aufsetzen des Fußes unserem Körper nicht schaden. Der Trend geht heute in Richtung „Natural Running“.

Der Fuß soll nicht mehr von allen Seiten gestützt werden, sondern sich so frei wie möglich bewegen.

Viele Läufer haben in den letzten zehn Jahren ihre Lauftechnik geändert und sind von einem Tag auf den anderen aufs Natural Running umgestiegen. Von heute auf morgen wurden deshalb die 20 Millimeter hohen und gut gepolsterten Schuhe im Schrank gelassen und zum Training nur noch die null bis sechs Millimeter hohen Laufschuhe genommen. Das Ergebnis sind Knieprobleme und Hüftbeschwerden, weil Muskeln und Bänder keine Zeit hatten, sich an den neuen Laufstil zu gewöhnen.

Mit den richtigen Einlagen das Laufgefühl verbessern

Studien besagen, dass die Verletzungsgefahr minimiert wird, wenn die Menschen einfach die Schuhe tragen, die sie bequem finden.

Was die Menschen als bequem empfinden, ist schon sehr individuell und müsste genauer definiert werden. Trotzdem ist an der Aussage etwas dran: Um beispielsweise den perfekten Natural Running-Schuh zu finden, raten wir unseren Kunden, vorher eine Stunde barfuß auf der Wiese zu laufen.

Warum das?

So gewöhnen sich die Füße an den weichen Untergrund. Geht es dann mit den neuen Schuhen über den harten Asphalt, merken die Kunden sofort, ob die Schuhe zu leicht oder zu schwer sind und ob die Dämpfung stimmt. Bei „Natural Runnings“ sollen die Läufer am Ende ja das gleiche Laufgefühl haben, wie wenn Sie barfuß über den Rasen spazieren.

Was sind propriozeptive Elemente?

Propriozeptive Elemente sind speziell ausgeformte Erhebungen oder Absenkungen auf der orthopädischen Schuheinlage, die Druck auf die Sehne eines Muskels ausüben und dadurch den zugehörigen Muskel aktivieren und stärken. Oft werden diese Einlagen auch als sensomotorisch bezeichnet.

Können orthopädische Einlagen das Laufgefühl verbessern?

Wenn es keine harten Einlagen aus Leder oder Kork sind, ja. Wichtig ist eine punktuelle Versorgung, die sich wirklich nur um den Teil des Fußes kümmert, der beim Laufen Probleme macht. Diese Stellen lokalisiere ich tatsächlich am besten, indem ich meine Kunden aufs Laufband schicke. Setze ich propriozeptive Elemente auf die Einlagen, kann ich meine Füße auch gezielt trainieren und so Muskeln und Bänder kräftigen.