„Das Dilemma lässt sich nicht auflösen“

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist in Deutschland umstritten. Wird durch den Eingriff unnötiges Leid vermieden oder führt er zur Selektion lebenswerten Lebens? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Film „Ellas Entscheidung“. Drehbuchautorin Kristin Derfler erzählt uns, wie sie zu dem Stoff des Films kam und warum er in einem bayerischen Dorf in den Alpen spielt.

Redaktion: Warum ein Film zum Thema Präimplantationsdiagnostik?

Kristin Derfler: Vor einigen Jahren las ich einen Artikel über zwei Cousinen. Beide waren Genträgerinnen der Erbkrankheit Chorea Huntington, einer schweren Erkrankung des Gehirns, und beide wollten ein gesundes Kind bekommen. Eine der Cousinen entschied sich für die PID …

… also die Untersuchung des Embryos vor der Einpflanzung in die Gebärmutter.

Genau. Die andere Frau ging das Risiko ein und wurde auf natürliche Weise schwanger. Als die Ärzte durch die Fruchtwasseruntersuchung entdeckten, dass der Embryo die Huntington-Krankheit hatte, trieb sie ab. Nach dem ich das gelesen hatte, ließ mir eine Frage keine Ruhe mehr: Wie weit darf man beim Wunsch nach einem gesunden Kind gehen?

Um diesen Konflikt geht es auch in dem Film „Ellas Entscheidung“.

Die Hauptfigur Ella trägt die Gene der Duchenne, einer schweren Muskelerkrankung, in sich. Das weiß sie durch ihren 12-jährigen Neffen Lenny, der die Krankheit hat. Der sitzt bereits im Rollstuhl und damit sich seine Organe nicht weiter verschieben, muss ihm letztendlich sogar eine Eisenstange implantiert werden. Alle wissen, dass Lenny nur noch ein paar Jahre zu leben hat.

Eine einfache Antwort gibt es nicht

Trotzdem will Ella ein Kind.

Ja. Sie weiß, dass sie die Krankheit vererben kann, aber sie will kein Kind, das so leiden muss wie Lenny. Eine Abtreibung kommt für sie nicht in Frage, also entscheidet sich Ella für die PID.

Kristin Derfler / © Heike Steinweg

Kristin Derfler / © Heike Steinweg

Womit sie ihre ältere Schwester Johanna, der Mutter von Lenny, vor den Kopf stößt. Für diese ist es, als würde damit ihrem Sohn das Recht zu leben abgesprochen.

Ella befindet sich in einem Dilemma. Sie liebt ihren Neffen. Sie möchte keine Welt, in der es Menschen wie ihn nicht mehr gibt – trotzdem will sie ihrem Kind dieses Leid ersparen. Was natürlich irgendwie nachvollziehbar ist.

Ebenso wie Lennys Frage: „So ein Kind wie mich willst du nicht?“

Und es war mir wichtig, diese Frage unbeantwortet zu lassen. Ein Ja oder Nein gibt es hier ebenso wenig wie ein Richtig oder Falsch. Ich wollte die Grautöne zeigen statt zu urteilen. Als Autorin habe ich zwar eine eigene Haltung, aber ich will keine der Entscheidungen bewerten, die im Film getroffen werden.

Was ist denn Ihre Haltung?
Die hat sich eigentlich erst im Laufe meiner Arbeit entwickelt und ist sehr persönlich. Während ich an dem Drehbuch schrieb, diagnostizierten die Ärzte Krebs bei mir. Trotz der Chemo entschied ich mich weiterzuschreiben. Während meiner Recherchen lernte ich Jenson kennen, einen Jungen, der tatsächlich Duchenne hat. Einmal saßen wir nebeneinander – er im Rollstuhl, ich mit kahl rasiertem Kopf – und er sagte: „Das Leben ist schön“.

Sie sind also gegen PID?
Auf der einen Seite ja – und trotzdem. Wären ich und damit auch meine Tochter Trägerinnen eines Krebs-Gens und sie würde mir sagen, dass sie ihrem Kind eine Tumorerkrankung, die folgende Chemotherapie und die ständige Angst, dass sich neue Metastasen bilden, ersparen will, würde ich das verstehen. Am Ende bleibt es eine persönliche Entscheidung, die jede Frau, jede Familie selbst treffen muss.

Abgrenzung zu anderen Diagnosemethoden:

● Präfertilisationsdiagnostik: Untersuchung der Eizelle vor der Befruchtung
● Präimplantationsdiagnostik: Untersuchung des Embryos vor dem Einpflanzen in die Gebärmutter
● Pränataldiagnostik: Untersuchung des Fötus und der Schwangeren vor der Geburt

Der Film wahrt die richtige Distanz

Warum lassen Sie den Film ausgerechnet in einem kleinen Dorf in Bayern spielen?
Die meisten Filme spielen in der Großstadt und haben junge Akademiker in den Hauptrollen. Dabei sind Menschen auf dem Land mit denselben Fragen konfrontiert. Außerdem kommt der moralische Konflikt, in dem Ella sich befindet, im Kontext der Dorfgemeinschaft besser zur Geltung.

Wieso das?
In der Stadt würden die meisten sagen: „PID? Finde ich nicht gut, aber mach doch. Ist ja schließlich dein Leben.“ Im Dorf hat hingegen jeder seine Meinung und diese lassen sie Ella auch spüren. Ein Kollege von Ella – sie ist Lehrerin – wirft ihr vor, ein Leben eigenmächtig zu selektieren. Und die Ex-Freundin ihres Mannes sagt, ein Kind, das im Labor entstanden ist, dürfe nicht getauft werden.

Sind Sie mit der filmischen Umsetzung Ihres Drehbuchs zufrieden?
Absolut. Der Film wahrt die richtige Distanz. Es gibt keine Großaufnahmen von verweinten Gesichtern und keine Kamera, die den Schauspielern in die Nase kriecht. Als Lenny regungslos im Rollstuhl zusammensackt, sieht man ihn nur von hinten. Der Film zwingt dem Zuschauer keine Gefühle auf. Am Ende muss jeder selbst entscheiden, wie er sich an Ellas Stelle verhalten würde.

 

Information: “Ella Entscheidung” wurde am 30. Mai um 20.15 Uhr im ZDF ausgestrahlt und ist noch bis zum 6. Juni in der Mediathek zu sehen.