“Das hat mich enorm beeindruckt”

Models mit künstlichem Darmausgang oder mit Erwachsenenwindeln auf Plakaten – geht nicht? Geht doch: Die Kampagne „Körperstolz“ des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) macht klar, dass es keinen Grund gibt, sich zu schämen. Ein Interview mit BVMed-Sprecher Manfred Beeres.

Redaktion: Auf einem der Plakate hat das Model Dietrich Garbrecht außer seiner Einlagenunterwäsche fast nichts an, trotzdem lacht er dem Betrachter sehr selbstbewusst entgegen. Von Scham keine Spur!

Manfred Beeres: Ja, aber es war sehr schwer, ihn zu finden. Inkontinenz ist bei Männern ein riesiges Tabuthema. Erst haben wir uns bei unseren Mitgliedsverbänden erkundigt, ob sie uns jemanden vermitteln können. Fehlanzeige. Dann fragten wir bei Selbsthilfegruppen und Patientenverbänden nach und recherchierten über Facebook, Instagram und Twitter. Am Ende hatten wir zwanzig Frauen, aber keinen einzigen Mann.

Ein ziemlich großer Aufwand …

Ja. Der Kontakt zu Dietrich Garbrecht ist schließlich über unseren Fotografen zustande gekommen. Das war purer Zufall. Die beiden kannten sich aus einem früheren Shooting. Wir haben ihn angefragt und Garbrecht hat sofort zugesagt.

Wie haben Sie die anderen Models gefunden?

Peter Helfrich, der seit seiner Geburt künstlich ernährt wird, wurde uns über ein Mitgliedsunternehmen vermittelt. Elke Ederer schreibt einen eigenen Blog “Einfach Zucker” über ihr Leben mit Diabetes. Sie haben wir also durch eine Internetrecherche gefunden. Die Vierte im Bunde, Steffi Jesko, haben wir über die Selbsthilfe-Plattform Stoma-Welt.de angesprochen.

Steffi Jesko ist die junge Frau mit dem künstlichen Darmausgang?

Genau. Sie hat Morbus Crohn, also einen chronisch entzündeten Darm. Vor vier Jahren stellten die Ärzte bei ihr zudem Darmkrebs fest und mussten operieren. Es hat mich enorm beeindruckt, wie offen diese Frau mit dem Thema umgeht.

Körperstolz

Die Kampagne „Körperstolz“ des Bundesverbandes Medizintechnologie e.V. (BVMed) will Verständnis für die Lebenssituation von Betroffenen wecken und zeigt, wie wichtig Medizinprodukte für ihre Lebensqualität sind. Im Zentrum stehen vier Motive: Stoma, Inkontinenz, künstliche Ernährung und Diabetes. Die Kampagne ist seit Mai 2015 am Flughafen Berlin-Tegel zu sehen. Ab Juni wird die Plakataktion auf weitere Flächen in Berlin ausgeweitet. Hier finden Sie frühere Plakataktionen des BVMed.

Wie kann man sich das vorstellen?

Zum Shooting brachte sie drei unterschiedliche Stomabeutel mit, legte sie auf den Tisch und fragte uns, welchen wir gerne hätten. Der kleinste war nicht viel größer als meine Hand, der größte war beinahe handtaschengroß. Wir haben dann den mittleren genommen – das ist auch die Größe, die sie am meisten trägt.

Wozu die unterschiedlichen Größen?

Wenn sie den Beutel über den Tag hinweg wechseln kann, reicht in der Regel ein kleiner. Ist sie hingegen nonstop unterwegs, ist ein großer besser.

Es geht also um praktische Gründe?

Nicht nur. Unter einen Pullover lässt sich ein Stomabeutel jeder Größe schieben, bei einem engen Kleid sieht das schon anders aus. Für die Betroffenen bedeutet diese Auswahlmöglichkeit ein Stück Lebensqualität.

© BVMed

Manfred Beeres © BVMed

Warum hängen die „Körperstolz“-Plakate nur in Berlin?

Für eine bundesweite Kampagne fehlt uns das Geld. Außerdem wollen wir mit unserer Aktion vor allem Politiker und Krankenkassenmanager erreichen – und die sind bekanntlich häufig in der Hauptstadt. Die politischen Entscheider müssen besser verstehen, wie wichtig Medizinprodukte für die Lebensqualität chronisch kranker Menschen sind. In den letzten zehn Jahren ist hier extrem viel passiert.

Inwiefern?

Nehmen Sie Peter Helfrich. Der junge Mann muss bis zu zwölf Stunden am Tag enteral ernährt werden. Früher hätte er dafür in die Klinik gemusst oder zumindest zu Hause am Tropf gehangen. Heute steckt er seinen Infusionsbeutel einfach in den Rucksack und kann sich währenddessen mit Freunden treffen. Die Arbeit macht eine kleine, leichte Pumpe.

Ein enormer Gewinn an Freiheit …

… und Normalität. Genau das wollen wir zeigen. Erkrankungen wie Inkontinenz oder Diabetes bedeuten keinen Ausschluss aus dem normalen Leben.

Eine gelungene Kampagne?

Absolut. Gleich nach dem Start der Kampagne haben Steffi Jesko und Elke Ederer auf Facebook gepostet, wie glücklich sie sind, bei „Körperstolz“ mitgemacht zu haben. Tatsächlich haben sie enormen Zuspruch und positives Feedback bekommen. Sie machen anderen Betroffenen damit Mut.