Warum Männer nicht zum Arzt gehen

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Europameisterschaft gucken statt ab ins Wartezimmer? Welche Beweggründe Männer wirklich haben, wenn sie Arztbesuche aufschieben.

Der tiefrot angeschwollene Insektenbiss? Wird schon von alleine wieder verschwinden. Der über Wochen andauernde Reizhusten? Kein Grund zur Beunruhigung. Wenn es um Arztbesuche geht, gelten Männer immer noch als eher zurückhaltend, auch in Deutschland. Warum ist das so? Dieser Frage ging eine Umfrage aus den USA nach.

Meinungsforscher wollten im Auftrag der Orlando-Health-Kliniken von Teilnehmern wissen, welche Aussagen für sie gegen die Vereinbarung eines jährlichen Hausarzttermins sprechen. Vor allem Männer zwischen 18 und 44 stimmten der Aussage zu, sie seien zu beschäftigt. Viele äußerten auch Angst vor einer schlimmen Diagnose und wollten keine unangenehmen Untersuchungen, etwa an der Prostata, über sich ergehen lassen.

Männer wollen nicht lange warten

Die Keine-Zeit-Ausrede sei „unentschuldbar“, erklärte der US-Urologe Jamin Brahmbhatt dazu. Männer könnten pro Woche mehrere Stunden mit Sport-Gucken verbringen, da müssten sie auch für eine 90-minütige Untersuchung Zeit aufbringen können, findet er. Besteht angesichts der nahenden Fußball-EM auch Grund zur Sorge um Männer in Deutschland?

Wohl weniger: „Es ist immer wieder zu beobachten, dass manche Patienten und insbesondere auch Männer nicht zum Arzt gehen, weil sie schlichtweg Sorge vor der Diagnose haben“, erklärt der Sprecher des Deutschen Hausärzteverbands, Vincent Jörres. Wichtig sei ein „langjähriges Vertrauensverhältnis“ zum Arzt – dann falle es Patienten leichter, bestimmte Beschwerden anzusprechen.

Diese Vorsorgeuntersuchungen sind für Männer wichtig 

Egal ob Haut-, Prostata- oder Darmkrebs: Je eher eine Erkrankung erkannt wird, desto besser stehen die Chancen auf Heilung. Deshalb sollten Männer die Angebote zur Früherkennung wahrnehmen. Laut dem Gemeinsamen Bundesausschuss übernehmen die Gesetzlichen Krankenkassen für Männer folgende Untersuchungen zur Früherkennung:

Ab 35 Jahre:

  • alle zwei Jahre Gesundheits-Check-Up. Schwerpunkt: Früherkennung von Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen sowie von Diabetes
  • alle zwei Jahre Hautkrebsscreening

Ab 45 Jahre:

  • jedes Jahr Krebsfrüherkennung. Tastuntersuchung der Prostata und der äußeren Genitalien

Ab 50 Jahre:

  • jedes Jahr Darmkrebsfrüherkennung: Untersuchung auf verborgenes Blut im Stuhl

Ab 55 Jahre:

  • alle zwei Jahre Darmkrebsfrüherkennung: Stuhluntersuchung

Oder:

  • alle zehn Jahre Darmspiegelung (maximal zwei Darmspiegelungen)

Gut belegt sei für Deutschland jedoch, dass gerade die Wartezeit beim Arzt Männer abschrecke, sagte Theodor Klotz, Vorstand der Stiftung Männergesundheit. Sie wollten es vermeiden, lange mit Menschen zusammenzusitzen, die über Krankheiten sprechen. Erfolgreiche Vorsorgepraxen böten deshalb Terminsprechstunden an. Auch hätten Männer ein anderes Körpergefühl als Frauen: Der Körper werde eher als Werkzeug betrachtet, sagte Klotz. Männer gehen, da sind sich Experten einig, vergleichsweise spät zum Arzt: Wenn etwas sehr weh tut und es unbedingt sein muss.

Körperliche Symptome werden anders eingeschätzt

In der Mehrzahl der Fälle seien es dann die Frauen, die ihre Männer in die Sprechstunde schicken, sagte Gerd Thomas von der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit. Seinen Worten nach schwankt die Selbsteinschätzung enorm je nach Geschlecht. Im Männergesundheitsbericht 2014 kommen Experten des Robert Koch-Instituts zu dem Schluss, dass Männer ihre Gesundheit häufiger als gut oder sehr gut einschätzen. Mögliche Erklärung: Männer nehmen körperliche Symptome weniger wahr oder reden weniger darüber.

Experten sehen aber auch Generationsunterschiede: Während bei den Über-70-Jährigen noch ein traditionelles Verständnis vorherrsche, habe sich das bei den gesundheitsbewussten 40- bis 60-Jährigen in den vergangenen 10 bis 15 Jahren gewandelt: Der Besuch beim Männerarzt oder Urologen sei inzwischen enttabuisiert, sagte Klotz.

Der Wandel hat für Klotz eine Ursache: Er spricht vom „Viagra-Effekt“. Die Einführung der blauen Pille in den 90er Jahren sei ein Türöffner gewesen, so dass sich vermehrt Männer mit Erektionsstörungen in ärztliche Behandlung begaben und Ursachen wie Depression oder Übergewicht erkannt wurden. „Vorher musste der Mann funktionieren“, so Klotz. Impotente seien zum Psychiater geschickt worden.

Der „Viagra-Effekt“

Der Umgang mit der eigenen Gesundheit kostet die Männer auch Lebenszeit – wie viel, weiß man nicht genau. Statistisch betrachtet leben Frauen fünf Jahre länger als Männer. Das hat aber viel zu tun mit den Lebensumständen: Männer sterben jünger, weil sie beruflich wie privat riskanter leben. Bei einer Studie zur Lebenserwartung von Brüdern und Schwestern im Kloster lebten Frauen nur ein Jahr länger, wie Klotz sagte. Seiner Ansicht nach holen die Männer auch im „normalen“ Leben auf.

Dass sich die Geschlechter am Ende so erheblich nicht unterscheiden, zeigt die US-Umfrage: Zwischen Frauen und Männern herrschte annähernd Einigkeit über die wichtigsten Gründe, nicht zum Arzt zu gehen.

Von Gisela Gross (dpa)