Ergotherapeuten helfen zurück in den Alltag

Die Möglichmacher: Ergotherapeuten helfen zurück in den Alltag

Anwendung therapeutischer Knete als Hilfsmittel, zur Stimulierung der Motorik der Hände, besonders bei Schlaganfallpatienten. © picture alliance/dpa-Zentralbild

Demenzkranke, Schlaganfall-Patienten oder Menschen mit einer Depression: Ergotherapeuten helfen ihren Klienten, trotz Beeinträchtigungen ihren Alltag zu meistern. In den Beruf führen sowohl eine Ausbildung als auch ein Studium.

Wenn sich die eigenen Finger mit aller Kraft in die Innenfläche der Hand bohren, geraten einfache Bewegungen zum Triumph. Bei einem von Anna Longrées Klienten war es der Griff zum Golfschläger. Der Mann litt an Morbus Dupuytren, einer Erkrankung, bei der sich die Sehnen in der Hand verkürzen. „Ihm war es total wichtig, wieder Golf spielen zu können“, sagt die 23-jährige Ergotherapeutin. Eine Operation löste die Faust. In der Therapie danach rollte Longrée einen grünen Teppich in der Klinik aus und brachte dem Mann bei, den Golfschläger zu halten. „Plötzlich war er der Experte, er konnte mir zeigen, wie es geht, und ist total aufgeblüht.“

Ergotherapeuten helfen Menschen, die in ihren Handlungen eingeschränkt sind, in den Alltag zurückzukehren. Das betrifft Demenzkranke, Menschen mit einer Depression, Schlaganfall-Patienten, psychisch auffällige Kinder und viele andere. Ergotherapeuten fragen gezielt nach Gewohnheiten und Wünschen. Sie sprechen nicht von Patienten, sondern von Klienten, die sie auf Augenhöhe behandeln.

Digitalisierung in der Ergotherapie

Anna Longrée hat im Oktober 2016 ihre dreijährige Ausbildung abgeschlossen. Sie ist in einer Praxis in Wuppertal angestellt, die mit einem Krankenhaus kooperiert. Vormittags arbeitet sie auf der Geriatriestation mit älteren Menschen, nachmittags widmet sie sich Klienten, die meist unter neurologischen oder psychischen Störungen leiden, darunter auch Kinder. „Es geht darum, Menschen wieder fit für ihren Alltag zu machen“, sagt Longrée und beschreibt Hilfsmittel, auf die sie zurückgreift.

Rollatoren ermöglichen das Gehen, das ist klar. Aber wie versorgt man sich, wenn einfache Dinge wie Anziehen und Frühstücken unmöglich scheinen? „Wenn einer einen Schlaganfall hatte, halbseitig gelähmt ist und sein Brötchen nicht mehr schmieren kann, gibt es für die Küche so etwas wie ein Nagelbrett“, sagt Longrée. Das Brötchen liegt fest darauf, mit einer Hand lässt es sich dann schmieren.

Ergotherapeuten hießen einst Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten. Die Anforderungen hätten sich stark verändert, erklärt Inga Junge vom Deutschen Verband der Ergotherapeuten (DVE). „Heute wird der Klient nicht mehr nur als Einzelperson mit einer bestimmten Erkrankung betrachtet, sondern die Beeinträchtigung in ihrer Gesamtheit gesehen“, sagt die Referentin für Aus- und Weiterbildung. Der Blick richte sich nicht nur auf die betroffenen Körperfunktionen, sondern auch auf die Umwelt des Klienten und seine Wertvorstellungen.

Die Möglichmacher: Ergotherapeuten helfen zurück in den Alltag

Eine in einem so genannten Linsenbad versteckte Kugel dient den Ergotherapeuten als Hilfsmittel beim Training der Fein-Motorik und Sensibilität der Hände ihrer Schlaganfall-Patienten. © picture alliance/dpa-Zentralbild

„Außerdem finden Themen wie Digitalisierung oder E-Health zunehmend Eingang in die Ergotherapie“, sagt Junge. Der demografische Wandel verstärke den Bedarf an Ergotherapeuten, die ältere Menschen in geriatrischen Rehakliniken und Schlaganfallpatienten behandeln.

Es gibt zwei Möglichkeiten, in den Beruf einzusteigen – über die dreijährige Ausbildung an einer Berufsfachschule oder das Studium. 85 Prozent der Berufsfachschulen für Ergotherapie in Deutschland sind nach Angaben des DVE in privater Trägerschaft. Sie verlangen ein Schulgeld von bis zu 500 Euro im Monat. Wer ein berufsqualifizierendes Studium absolvieren will, muss sogar bis zu 595 Euro zahlen. In Deutschland gibt es, laut DVE, acht Anbieter. Die Hochschule für Gesundheit in Bochum bietet einen kostenfreien berufsqualifizierenden Studiengang an, die Alice Salomon Hochschule Berlin verlangt lediglich 70 Euro für Materialkosten. Alle anderen sind kostenpflichtig.

Anna Longrée hat eine klassische Ausbildung absolviert und parallel zum Berufsalltag ein Bachelorstudium begonnen, das wegen der Vorkenntnisse nur noch eineinhalb Jahre dauert. Es reizt sie, später in der Forschung zu arbeiten. Ergotherapeuten fehle mitunter die Anerkennung anderer Berufsgruppen, insbesondere die der Ärzte. Durch das Wissen aus dem Studium will sie sie erreichen.

Ergotherapeuten sind gefragt

Ergotherapeuten sind auf ärztliche Verordnungen angewiesen. «Aber als Ergotherapeut wird man nicht reich», sagt Longrée. Der DVE verweist auf den Tarif im öffentlichen Dienst. Das Einstiegsgehalt liege bei rund 2289 Euro brutto, mit Leitungsfunktion bei rund 2648 Euro. Allerdings gebe es private Praxen, die nicht an Tarife gebunden seien und für eine Vollzeitstelle gerade mal 1500 Euro brutto im Monat zahlen würden.

Die Nachfrage nach Ergotherapeuten sei überall stark, sagt Geraldine van Gogswaardt, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit. Auf rund 1200 arbeitslos gemeldete Ergotherapeuten kommen aktuell etwa 2000 offen gemeldete Stellen. Um die Anforderungen der Arbeitgeber zu erfüllen, seien unter anderem psychische Stabilität und Selbstkontrolle im Umgang mit zum Teil verhaltensauffälligen oder aggressiven Menschen wichtig, sagt van Gogswaardt.

Berufseinsteigerin Longrée kennt Kolleginnen, die es frustriert, einen Krankheitsverlauf nicht mehr umkehren, sondern nur verlangsamen zu können – zum Beispiel im Umgang mit Demenzkranken. Sie selbst könne damit umgehen. Allerdings ärgere sie sich darüber, dass in ihrem Beruf noch nicht einmal die Kosten der Ausbildung übernommen werden. Dennoch mache ihr die Arbeit Spaß, insbesondere die mit Kindern. „Bei Kindern geht man ganz viel übers Spiel, ich baue zum Beispiel einen Parcours auf, damit sie ihr Gleichgewicht üben und sich ausprobieren.“ Sie habe von einer Mutter erfahren, dass ihr Kind sogar mit der Ergotherapie angibt und anderen Kindern sagt, wie viel Spaß das macht. „Und jetzt wollen alle zur Ergotherapie.“

Die Möglichmacher: Ergotherapeuten helfen zurück in den Alltag

Hände einer Patientin bearbeiten während der Ergotherapie für psychisch kranke Patienten einen Klumpen Ton. Auf diesem Wege sollen Aggressionen abgeleitet und in kunsthandwerkliche Arbeiten umgewandelt werden. © picture alliance/dpa-Zentralbild

Von Maurice Wojach (dpa)