Dissertation: 31 frühere Leichtathleten geben Anabolika-Doping zu

 Ein Wissenschaftler von der Uni Hamburg liefert neue Belege für Doping in der Bundesrepublik. 31 ehemalige Leichtathleten im Westen geben zu, dass sie ihren Leistungen mit Anabolika einen Schub gaben. Einer von ihnen traut sich in der ARD-„Sportschau“ vor die Kamera.

Doping auf Rezept, bis zu 1000 Tabletten im Jahr – und ein handfester neuer Skandal: Sechs der 31 ehemaligen Leichtathleten aus der Bundesrepublik, die Anabolika-Doping zugegeben haben, werden in einer Dissertation des Wissenschaftlers Simon Krivec von der Universität Hamburg namentlich genannt. „Neben Klaus-Peter Hennig haben fünf weitere Athleten auf eine Anonymisierung verzichtet und ihre Namensnennung bestätigt“, sagte der 29-Jährige am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur.

Der ehemalige Diskuswerfer Hennig hat sich bisher als Einziger in einem ARD-Interview vor der Kamera zu seiner Anabolika-Vergangenheit bekannt. Laut „Sportschau“-Bericht (Samstag) haben die früheren Leichtathleten aus der Bundesrepublik der Studie zufolge zugegeben, zum Teil über Jahre hinweg anabole Steroide eingenommen zu haben.

Die Dissertation von Krivec wird am 3. April erstmals veröffentlicht, sie erscheint dann als Buch. „Ich hatte bei vielen Athleten einen Vertrauensvorschuss“, sagte der Naturwissenschaftler. Krivec ist Pharmazeut und besitzt in Krefeld zwei Apotheken.

Er hat nach eigenen Angaben 121 ehemalige männliche Spitzensportler des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) angeschrieben, 61 haben ihm geantwortet, 42 haben sich zur Sache geäußert, „und 31 Athleten haben die Einnahme von Anabolika bestätigt“, sagte Krivec, dessen Studie die Zeit von 1960 bis 1988 erfasst. „Verblüffend war, dass die Athleten sehr offen damit umgegangen waren – mir gegenüber“, erklärte Krivec. In Einzelfällen sei „sehr detailliert berichtet“ worden.

Aufgrund dieser Aussagen und weiterer Daten konnte Krivec in seiner Doktorarbeit die Struktur des Anabolikamissbrauchs im Westen Deutschlands deutlich machen. Ärzte, Apotheker, Trainer und weitere Personen aus dem Umfeld der Athleten waren zum Teil aktiv daran beteiligt, heißt es in dem ARD-Bericht.

Die bevorzugten Medikamente seien Dianabol und Stromba gewesen, sie wurden häufig über Rezept bezogen. Bis auf wenige Ausnahmen seien die ausgestellten Rezepte von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt worden. Die Dosierungen lagen in fast allen Fällen „weit über den Empfehlungen der Hersteller“, heißt es im ARD-Bericht.

Beispiel: „In einem Fall wurden im gesamten Jahr 1974 Mengen bis zu 5000 Milligramm Dianabol konsumiert, was rund 1000 Tabletten entspricht.“ Die Zeiträume der Anabolika-Einnahme erstreckten sich auf bis zu zwölf Jahre.

Den Athleten sei Anonymität zugesichert worden, Hennig und fünf weitere stimmten der Veröffentlichung ihrer Namen allerdings zu. Die Dissertation habe die Verhältnisse so dargestellt, „wie sie wirklich früher waren. Das ist schon bemerkenswert“, sagte der zweimalige Olympia-Teilnehmer Hennig. Er war erstaunt, „dass das genau so ist, wie ich das auch in Erinnerung habe, wie ich es gehört habe damals – und wie ich es natürlich selber auch gemacht habe.“

Bei „Sport inside“ beschreibt der 69-Jährige die „Zwickmühle“, in der sich die bundesdeutschen Athleten befunden hätten. Der Zwiespalt habe ihn persönlich sehr belastet. „Auf der einen Seite will ich selber Leistung verbessern, hohe Leistung schaffen. Die Olympiateilnahme schaffen. Auf der anderen Seite weiß ich, dass das ohne unterstützende Mittel eigentlich nicht geh“», sagte Hennig, der im Trikot von Bayer Leverkusen dreimal (1971, 1973, 1975) deutscher Diskuswurfmeister war. Seine persönliche Bestleistung – 64,80 Meter – stellte er 1972 auf.

Von Ralf Jarkowski (dpa)