Wo die Medizin versagt, können Worte helfen. Davon war Erich Kästner überzeugt. Sein therapeutisch-humorvoller Gedichtband „Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke“ erschien erstmals 1936 in der Schweiz.
Husten und Schnupfen lassen sich mit Medikamenten behandeln; bei Liebeskummer, Ärger und Einsamkeit versagen jedoch die üblichen Arzneien. Statt auf Baldrian, Aspirin und Magentropfen setzt Kästner zur „Behandlung des durchschnittlichen Innenlebens“ auf Reime und erheiternde Verse.
Kästners „Rezepte“ spenden Trost, wenn „uns die Großstadt zum Hals raushängt“, wenn „das Alter traurig macht“, und sogar wenn „die Ehe kaputt geht“. Für die richtige Dosierung und Anwendung der Verse liefert Kästner gleich die passende Gebrauchsanweisung. Die „Hausapotheke“ verzeichnet 36 Leiden samt dem jeweils dazu passenden Gedicht, das Heilung verspricht.
Literarische Arzneien für jede Lebenslage
Ein bekannter und dankbarer Freund der lyrischen „Hausmittel“ war der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (1920-2013). Während seiner Zeit im Warschauer Getto fand er Trost und Halt in Musik und Literatur. Über Kästners „Hausapotheke“ schrieb er, „seine kessen und doch etwas sentimentalen Gedichte“ hätten ihn damals „gerührt und ergriffen“. Besonders ermutigt hat Reich-Ranicki Kästners „Eisenbahngleichnis“, mit dem die „Rezeptsammlung“ beginnt. Es endet mit der schlichten Moral endet: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“
„Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke“ mag nicht jedem zur Genesung verhelfen, als Hausmittel sind die Verse jedoch rezeptfrei – laut Klappentext mit nur einer Nebenwirkung: “Einsicht und befreites Lachen.”
Der Autor Erich Kästner
Als Erich Kästner (1899–1974) sich Anfang der 1930er Jahre als „lyrischer Apotheker“ betätigte, befand er sich selbst in einer schwierigen Lage. Während der Weimarer Republik war er ein angesehener Intellektueller. Er veröffentlichte zahlreiche Gedichtbände, Kinderbücher und Romane, zudem schrieb er für Tageszeitungen und Zeitschriften. Mit Hitlers Machtergreifung änderte sich seine Situation drastisch. 1933 verbrannten die Nationalsozialisten Kästners Bücher – sie seien „wider den deutschen Geist“. Er erhielt Publikationsverbot. Trotzdem entschied sich Kästner gegen die Emigration und blieb in Deutschland. Er veröffentlichte unter verschiedenen Pseudonymen weiter, schrieb beispielsweise Drehbücher für die Ufa und versuchte, als Chronist die Geschehnisse vor Ort zu dokumentieren. Dass er trotz der schwierigen Bedingungen blieb, erklärte er mit den Worten: „Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen. / Mich läßt die Heimat nicht fort. / Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen – / wenn’s sein muss, in Deutschland verdorrt.“
Noch heute kennen wir Erich Kästner als Autor von satirischen und zeitkritischen Gedichten, Essays und Kinderbüchern. „Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke“ kennt hingegen kaum jemand.