Ein Rezept gegen den Mangel an Landärzten

Ein Rezept gegen den Mangel an Landärzten

Foto: picture alliance/Phanie

Mediziner mögen Metropolen, in abgelegenen Orten lassen sie sich ungern nieder. Doch es gibt ein Modell, das der drohenden Unterversorgung auf dem Land entgegenwirkt.

67 Jahre, 71 Jahre und 72 Jahre alt sind die Landärzte im Mühlbachtal im rheinland-pfälzischen Taunus. Jahrelang haben sie versucht, ihre Praxen in jüngere Hände zu geben. „Wir haben sogar eine Agentur in Gießen beauftragt und dafür 3000 Euro liegen gelassen. Das Ergebnis: null”, sagt Werner Schwehn, einer der drei Mediziner.

Ähnliche Geschichten erzählen Hausärzte überall auf dem Land. Die Ärzteblätter sind voll mit Annoncen, von Ostfrieslands Küste bis zum Bodensee. Auf ein Praxisgesuch kommen gerne mehr als 20 Praxisabgaben. Im Rhein-Lahn-Kreis in Rheinland-Pfalz, in der das Mühlbachtal liegt, ist die Situation besonders dramatisch. Das Durchschnittsalter der Vertragsärzte liegt laut Kassenärztlicher Vereinigung bei 56 Jahren. Fast jeder fünfte Arzt ist 65 Jahre oder älter.

„Wenn wir drei aufgehört hätten, wären 5000 bis 7000 Menschen ohne Versorgung gewesen”, sagt der Arzt Dieter Hoffmann. Die Region an der waldreichen Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und Hessen taucht in der Statistik noch nicht als unterversorgt auf, weil die Ärzte beim Erreichen des Ruhestandsalters nicht einfach hingeschmissen haben. „Wir haben doch eine Verantwortung der Bevölkerung gegenüber”, sagt Hoffmann.

Rettung in Gestalt von drei Buchstaben: MVZ

Seine Praxis liegt in Miehlen, einem attraktiven 2000-Einwohner-Örtchen mit Bäcker und Metzger, Bürobedarf-Laden und Frisör, Sparkasse und Pizzeria. Schließt der Arzt die Tür für immer zu, muss oft auch die Apotheke dichtmachen. Das Leben verlagert sich dann zunehmend in die nächste Stadt, in diesem Fall Lahnstein oder gleich Koblenz, Wiesbaden, Mainz.

Die drei Ärzte hielten auch deswegen durch, weil sie über Jahrzehnte eng zusammengearbeitet und sich gegenseitig vertreten haben. „Das wäre katastrophal gewesen, wenn einer aufgehört hätte und ein anderer die Patienten hätte übernehmen müssen”, sagt Schwehn. Sie seien ohnehin mehr als ausgelastet. Und das gelte auch für die Ärzte in den anderen Orten im Umkreis.

Die Rettung kam in Form von drei Buchstaben: MVZ, Medizinisches Versorgungszentrum. MVZs gibt es seit 2004 in Deutschland, und seitdem steigt ihre Zahl beständig. 2016 zählte die Kassenärztliche Vereinigung bundesweit fast 2500 davon. Für das MVZ Mühlbachtal kamen die Ärzte mit dem St. Elisabeth Krankenhaus Lahnstein zusammen. Geschäftsführer ist nun Pascal Scher, der auch das Krankenhaus führt. Die Ärzte sind seitdem angestellt und ziehen sich nach und nach zurück, während jüngere Kolleginnen einsteigen.

Krankenhäuser profitieren von der Arbeit der Landärzte

„Eine Erleichterung ging durch Miehlen, als das MVZ gegründet wurde”, sagt Bürgermeister Ernst-Georg Peiter. Als erste Ärztin konnte im Frühjahr die Internistin Jennifer Merz in die Eifel gelockt werden. „Für mich wäre es nicht in Frage gekommen, allein eine Praxis zu übernehmen”, sagt sie. Dafür zählt sie mehrere Gründe auf: Zum einen will sie das Risiko nicht tragen. Auch wollte sie nicht auf sich gestellt sein. Und sie wollte als junge Mutter unbedingt Teilzeit arbeiten. „Ich könnte 100 Prozent gar nicht leisten”, sagt sie.

In einem Krankenhaus wollte Merz nicht langfristig arbeiten, weil die Arbeitszeiten dort schwieriger seien. „Da kann man nicht nachmittags um drei Uhr gehen.” Auch müsse man dort ständig von A nach B rennen. „Hier auf dem Land betreut man die Patienten länger und kann zurückgreifen auf die Erfahrung mit ihnen”, sagt sie.

Von der Arbeit der Landärzte profitiert auch das St. Elisabeth Krankenhaus. „Wenn die ärztliche Versorgung wegbricht, dann sieht man die Menschen in die Notaufnahme kommen”, sagt Geschäftsführer Scher. „Die wollen wir aber im Krankenhaus nicht haben, die sind dort schlecht versorgt.” Landarzt Hoffmann erläutert, dass er bei einem Patienten wisse, woher dessen Kopfschmerzen stammen. Im Krankenhaus würde man vielleicht eine teure Computertomographie (CT) anordnen.

Das Gesundheitssystem profitiert also von den Hausärzten: Sie sind kostengünstiger. Und sie sicherten die Krankenhäuser ab, weil sie die Zugangsströme mit Patienten sicherstellten, meint Scher. „Die stationäre und ambulante Medizin kann heute nicht mehr so getrennt werden wie früher.” Arzt Hoffmann meint, dass Modelle wie das der MVZ die Zukunft sind. „Die Einzelpraxis, wie sie mal war, wird sicherlich aussterben.”

Von Doreen Fiedler (dpa)

 


Was Bundesländer gegen den Mangel an Landärzten tun

Stipendien oder Studienplätze nur für angehende Landärzte – mit diesen und anderen Initiativen versuchen die Bundesländer, dem Landärztemangel vorzubeugen. Hier ein Blick auf einige Flächenländer:

  • Mecklenburg-Vorpommern setzt unter anderem auf Sonderstipendien für Medizinstudenten. Monatlich erhalten angehende Mediziner, die nach einem Bewerbungsverfahren ausgewählt wurden, an den beiden Landesuniversitäten in Rostock und Greifswald monatlich 300 Euro. Das Stipendium läuft maximal vier Jahre und drei Monate. Die Jungmediziner müssen dafür nach dem Studium für mindestens fünf Jahre als Arzt auf dem Land oder im öffentlichen Gesundheitsdienst arbeiten.
  • Niedersachen: Dort gibt es derzeit noch keine unterversorgte Region, dennoch stellt man sich auch hierzulande auf einen drohenden Mangel in den nächsten Jahren ein. Die Kassenärztliche Vereinigung fordert die Schaffung von bis zu 200 zusätzlichen Medizinstudienplätzen. Davon sollten zehn Prozent für Studenten reserviert werden, die sich dazu verpflichten, später als Hausarzt in unterversorgte Gebiete zu gehen.
  • NRW: In Nordrhein-Westfalen will das Land deutlich mehr Medizin-Studienplätze schaffen. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat sich auf eine neue staatliche Medizin-Fakultät an der Uni Bielefeld geeinigt. Ab 2021 sollen hier 300 Mediziner pro Jahrgang ausgebildet werden, ein Schwerpunkt der Fakultät liegt auf der Allgemeinmedizin. Ab dem Wintersemester 2018/2019 soll zudem eine Landarztquote eingeführt werden. Bis zu zehn Prozent der Medizin-Studienplätze sollen Bewerber bekommen, die sich verpflichten, anschließend zehn Jahre als Arzt aufs Land zu gehen.
  • Bayern: Das bayerische Gesundheitsministerium fördert die Niederlassung von Haus- und Fachärzten mit bis zu 60.000 Euro in Gemeinden mit nicht mehr als 20.000 Einwohnern. Zudem wurde ein Stipendienprogramm aufgelegt für Medizinstudenten, wenn diese ihre Facharztausbildung im ländlichen Raum absolvieren und danach mindestens fünf Jahre dort bleiben. Außerdem soll eine Landarztquote eingeführt werden: Bis zu fünf Prozent aller Medizinstudienplätze im Freistaat sollen für Studenten zur Verfügung stehen, die später als Hausarzt in Regionen mit Landärztemangel gehen.
  • Sachsen-Anhalt: Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt zahlt künftigen Landärzten ein Studium an der Privatuni Witten/Herdecke. Die jungen Leute müssen sich im Gegenzug verpflichten, nach dem Studium zehn Jahre lange in Regionen mit Hausärztemangel zu praktizieren – insgesamt sollen so zwölf Landärzte hinzukommen. Zudem gibt es seit 2010 ein Landarzt-Stipendium für staatliche Hochschulen. Je nach Höhe der Förderung verpflichten sich die Studenten, mindestens zwei Jahre in unterversorgten Regionen zu praktizieren. Für Praxisgründungen fließen bis zu 60.000 Euro Förderung.
  • Schleswig-Holstein: Dort gibt es derzeit in keiner Region einen akuten Ärztemangel. Dennoch wird auch schon an die Zukunft gedacht – die Kassenärztliche Vereinigung hat bereits vor einigen Jahren eine Nachwuchskampagne gestartet. Außerdem sollen sich Ärzte an einem gut erreichbaren Ort auf dem Lande zusammenschließen und mit einem Hausarztzentrum die medizinische Versorgung sichern. Unter anderem soll auch der verstärkte Einsatz von Telemedizin helfen – also ärztliche Beratung per Video-Schalte auf dem Computer.
  • Thüringen: Im ländlich geprägten Thüringen sollen unter anderem Honorarzuschüsse für Ärzte in unterversorgten Regionen, ein Förderstipendium für Nachwuchsmediziner in der Facharztausbildung sowie Investitionszuschüsse für Praxisgründungen oder -übernahmen in kleineren Orten einen Ärztemangel verhindern. Finanziert wird das von der Kassenärztlichen Vereinigung, den gesetzlichen Krankenkassen und dem Land.
  • Hessen: Dort reichen der Kassenärztlichen Vereinigung finanzielle Anreize nicht aus – eine Förderprämie zur Ansiedlung von Praxen auf dem Land wurde im Sommer abgeschafft. Vor kurzem schlugen die Kassenärzte ein „Aktionsbündnis für das ländliche Hessen” vor. Es soll um ein Bündel von Maßnahmen gehen, insgesamt zwölf Forderungen wurden vorgestellt. So sollen etwa Behörden aufs Land verlegt, aber auch Zuschläge für Landärzte gezahlt werden – allerdings nicht mehr von den Kassenärzten, sondern von den Krankenkassen.
  • Rheinland-Pfalz: Derzeit gibt es sieben Förderprogramme, die helfen sollen, die hausärztliche Versorgung zu verbessern. So werden zum Beispiel Studenten finanziell unterstützt, die sich im Praktischen Jahr des Medizinstudiums für ein Tertial in der Allgemeinmedizin entscheiden. Im aktuellen Koalitionsvertrag steht, dass der Masterplan zur Stärkung der ambulanten ärztlichen Versorgung fortgeführt werden soll. Dazu gehört ein Wiedereinstiegskurs für derzeit nicht in ihrem Beruf tätige Ärzte.