Experten beklagen Parteiengezänk im Kampf gegen hohe Suizidraten

Alle 52 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben, alle 5 Minuten erfolgt ein Suizidversuch. Dabei könnte die Zahl der Opfer mit besserer Prävention gesenkt werden, sagen Experten.

Jedes Jahr nehmen sich in Deutschland nach offiziellen Statistiken etwa 10.000 Menschen das Leben – mehr als 100.000 Menschen versuchen es. Die hohen Suizidraten könnten aus Sicht von Experten durchaus gesenkt werden. „Aber leider sind die Bemühungen, etwas zu tun, unzureichend”, kritisierte der Würzburger Psychiater, Prof. Armin Schmidtke, vom Nationalen Suizidpräventionsprogramm am Mittwoch in Berlin.

Ein Vorschlag der Grünen im Bundestag zur Prävention sollte nicht zerredet werden, appellierte Schmidtke. Der Vorschlag, der etwa eine beschränkte Medikamentenabgabe vorsieht, sei im Grundsatz zu begrüßen und könnte erweitert werden. Das Thema dürfe nicht parteipolitischem Gezänk zum Opfer fallen. Nötig sei ein gemeinsamer Vorstoß aller Fraktionen. „Die Gesellschaft kann sich nicht leisten, dass sich jedes Jahr die Bewohner einer Kleinstadt umbringen”, sagte Schmidtke. Ganz abgesehen von den Kosten – etwa durch die täglich zwei bis drei Suizide an Bahnstrecken.

Aus Sicht des Expertenbündnisses müssten im Zuge eines Präventionsprogramms Orte mit besonders häufigen Suiziden ermittelt und dort entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen werden – etwa mit Netzen oder Zäunen. Offizielle Statistiken müssten stärker differenziert werden, um Gruppen- und Paarsuizide rechtzeitig zu erkennen und gegensteuern zu können.

Nötig sei ein zentrales Register über Suizidversuche mit Medikamenten. In der Folge könnten sich Praktiken bei der Verschreibung von Medikamenten oder die Packungsgrößen von Arzneien ändern. Durch einen beschränkten Zugang zu bestimmten Arzneimitteln könnte die Zahl „spontaner Suizide” verringert werden. Schließlich sei mehr Aufklärung an Schulen erforderlich.

Im Jahr 2013 starben in Deutschland nach einer offiziellen Statistik 10.076 Menschen durch Suizid. Damit sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Aids, eine Überdosis illegaler Drogen und Gewalttaten zusammen. Mit zunehmendem Lebensalter steigt das Suizidrisiko. Neue Phänomene seien Suizidversuche unter Kindern in Folge von Mobbing oder im Alter aus Angst vor Demenz sowie mehr Suizide unter Migranten.

Schmidtke kritisierte, dass in der politischen Debatte immer wieder alte Vorurteile wiederholt würden. So zeigten Studien, dass Menschen, denen in Krisen geholfen wird, selten einen erneuten Suizidversuch unternehmen. Auch könne das Argument widerlegt werden, dass Betroffene einen anderen Ort für einen Suizid aufsuchen, wenn das Ursprungsziel gesichert sei. Zudem könne Suizidgefährdung auch im hohen Alter erfolgreich behandelt werden.

Quelle: dpa