Flucht und Folter stellen Rechtsmediziner vor neue Herausforderungen 

Wer „Tatort“ guckt, könnte meinen, dass Rechtsmediziner nur Leichen obduzieren. In Zeiten von Terror, Gewalt und Flucht untersuchen die Experten aber auch immer mehr lebende Menschen.

Rechtsmediziner werden immer häufiger um Gutachten für Asylverfahren gebeten. So müssen sie mutmaßliche Folterspuren von Flüchtlingen untersuchen und bewerten. „Wir sehen da im Prinzip alles – bis hin zu allerschwersten Verstümmelungen“, sagt Stefanie Ritz-Timme, Direktorin der Rechtsmedizin am Uniklinikum in Düsseldorf. Von Montag (11.9.) bis Freitag (15.9.) treffen sich rund 600 Rechtsmediziner aus aller Welt in Düsseldorf zu einem Symposium, bei dem die Themen Migration und Flucht auch eine große Rolle spielen.

Viele Flüchtlinge geben an, in ihren Heimatländern gefoltert worden zu sein. „Im Asylverfahren wird ihnen in aller Regel erst mal nicht geglaubt“, sagt Ritz-Timme. Lange habe auch die Meinung vorgeherrscht, bei alten Narben seien keine genaue Rückschlüsse auf die Entstehung mehr möglich. „Das ist aber in vielen Fällen gar nicht so.“ Die Düsseldorfer Rechtsmedizin macht sich besonders stark für Folteropfer. In einer „Düsseldorfer Erklärung“ forderten Mediziner eine systematische und interdisziplinäre Begutachtung von Folterüberlebenden und mehr Hilfe für sie.

Neben einer körperlichen Untersuchung müssen sich die Ärzte präzise von den oft traumatisierten Betroffenen erzählen lassen, was ihnen zugefügt wurde. Wo genau sind die glühenden Zigaretten ausgedrückt worden? Was ist über den Körper gegossen worden? Der Bericht wird nach internationalen Standards mit den Narben auf Plausibilität abgeglichen: Doppelstriemige Hautunterblutungen weisen auf Stockschläge hin, Narben mit unregelmäßigem, kurvigen Verlauf auf Schläge mit Drahtkordeln. Allerdings: Viele Foltermethoden wie etwa Waterboarding oder Schlafentzug hinterlassen keine körperlichen Spuren.

Angesichts der vielen unbegleiteten jungen Flüchtlinge ohne Ausweispapiere werden Rechtsmediziner auch verstärkt um Altersschätzungen gebeten. Erlaubt ist das nur im Rahmen eines Strafverfahrens wie derzeit im Freiburger Prozess um den Mord an einer Studentin. Dazu gehören Röntgenaufnahmen des Gebisses und des Handwurzelknochens sowie Computertomographien der Schlüsselbeingelenke. „Die Gelenk-Enden der Schlüsselbeine verknöchern am spätesten im Leben“, sagt Ritz-Timme.

Altersschätzungen bei jungen Flüchtlingen ohne strafrechtlichen Hintergrund werden jedoch als unethisch, zu belastend und ungenau kritisiert. Stattdessen forschen die Mediziner nun daran, wie man über einen Mundschleimhaut-Abstrich und die dadurch gewonnene DNA das Alter präzise bestimmen könnte.

Quelle: dpa