Harninkontinenz ist Betroffenen in aller Regel höchst peinlich. Deshalb ist das Thema für sie nicht selten absolut tabu. Dabei lohnt es sich, mit dem Arzt darüber zu sprechen – denn Harninkontinenz lässt sich in vielen Fällen gut behandeln.
Es ist einfach unangenehm: Allmählich wird die Hose nass. Dass unwillkürlich Harn abgeht, bemerken Betroffene oft beim Husten, Lachen oder beim Tragen einer schweren Tasche das erste Mal. Und bei einem Mal bleibt es dann nicht. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem das Aus-dem-Haus-Gehen danach geplant wird, wann und wo man die erste Toilette erreicht. Betroffene nehmen das oft stillschweigend hin, wechseln die Wäsche und hoffen darauf, dass das unwillkürliche Wasserlassen niemand bemerkt.
Aber sie sollten zumindest mit ihrem Arzt darüber sprechen. Denn Harninkontinenz kann in vielen Fällen gelindert, mitunter sogar geheilt werden. „Wichtig ist, dass zunächst eine genaue medizinische Diagnose erstellt wird”, sagt Ricarda Bauer. Sie ist Oberärztin der Urologischen Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiterin des dortigen Kontinenzzentrums.
Es gilt, zwischen einer Belastungs- und einer Dranginkontinenz zu unterscheiden. „Daneben gibt es aber auch Mischformen”, erläutert Bauer. Von einer Belastungskontinenz ist die Rede, wenn sich der Harnröhren-Verschluss zum Beispiel beim Lachen oder bei körperlicher Anstrengung unkontrolliert öffnet. Ursache hierfür ist häufig eine erschlaffte Beckenbodenmuskulatur. Eine Dranginkontinenz liegt vor, wenn die Blasenmuskulatur überaktiv ist und eine übervolle Blase signalisiert, obwohl das überhaupt nicht der Fall ist. Diese Form der Inkontinenz ist häufig auf Bandscheibenvorfälle, einen Schlaganfall oder auf neurologische Erkrankungen zurückzuführen.
Übergewicht reduzieren, Beckenbodenmuskulatur trainieren
„Frauen sind von einer Harninkontinenz häufiger betroffen als Männer”, sagt der Hannoveraner Gynäkologe Christian Albring. Er ist Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte. Denn bei Frauen wurde in vielen Fällen der Beckenboden während der Schwangerschaft oder durch vaginale Geburten überdehnt und überlastet. „Es kann aber auch sein, dass es im Zuge der Wechseljahre zu einem Östrogenmangel kommt, der ein Schrumpfen der Blasen- und Harnröhrenschleimhaut und damit eine Undichtigkeit mit sich bringt”, sagt Albring. Männer können nach der chirurgischen Entfernung der Prostata aufgrund einer Krebserkrankung harninkontinent werden, wie Bauer erläutert.
„Je früher Frauen mit unwillkürlichem Harnverlust mit ihrem Gynäkologen sprechen, desto besser”, betont Albring. Falls die Patientin übergewichtig ist, sollte sie abnehmen. „Damit allein kann Harninkontinenz häufig beseitigt werden.” Bei einem Hormonmangel ist eine Hormonersatztherapie eine Möglichkeit. Von Bedeutung ist aber auch, mit gezielten gymnastischen Übungen den Beckenboden zu trainieren, wie Almut Köwing sagt. Sie ist Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie, Proktologie im Deutschen Zentralverband für Physiotherapie in Köln.
Andere Therapiewege gemeinsam mit dem Arzt prüfen
Ein Beckenboden-Training hilft aber nicht nur Frauen, sondern auch Männern. Ein solches Training sollten Betroffene unter Anleitung eines spezialisierten Physiotherapeuten aufnehmen. Wichtig ist, sich an dessen Anweisungen und den vorgegebenen Trainingsumfang zu halten. „Mit richtig ausgeführten Übungen können Betroffene die Funktion der Beckenbodenmuskulatur deutlich verbessern”, sagt Köwing.
Tritt nach etwa sechs Monaten mit regelmäßigem Training keine Besserung ein, dann sollten Betroffene mit dem Arzt über andere Therapiewege sprechen. Mitunter kann Frauen ein Pessar helfen, erklärt Albring. Dieses soll die Harnröhre und die Blase bei körperlicher Aktivität stützen. Aber auch eine Operation ist möglich: Infrage kommt etwa die Einlage eines Kunststoffbandes unter der mittleren Harnröhre. „Erst dann und nur dann, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind und der unkontrollierbare Harnverlust nicht vermieden werden kann, dann sind sehr saugfähige und geruchsneutralisierende Binden eine Option”, erklärt Albring.
Wer als Frau eine spätere Inkontinenz vorbeugen will, könnte nach Angaben von Albring überlegen, eine Schwangerschaft nicht mit einer natürlichen Geburt, sondern mit einem Kaiserschnitt zu beenden, wenn ein großes Kind erwartet wird. Außerdem sollte man Übergewicht vermeiden. „Das senkt die Gefahr für eine spätere, dauerhafte Inkontinenz ganz erheblich”, betont Albring. Für wichtig hält es Köwing auch, in jungen Jahren den Zusammenhang zwischen Kontinenz und Beckenbodenmuskulatur zu erfahren. „Dazu gehört etwa, nur dann zur Toilette zu gehen, wenn tatsächlich ein Harndrang besteht.”
Von Sabine Meuter (dpa)