Impfpflicht: Ausweg oder Ausflucht?

© Isis Struiksma

© Isis Struiksma

Seit Monaten sind die Masern in den Schlagzeilen. Doch nach wie vor breitet sich die Infektion weiter aus. Aber ist die Impfpflicht wirklich das Mittel der Wahl, um den Virus einzudämmen, oder geht es eher darum Kosten zu sparen? Ein Kommentar von Stella Hombach

Spätestens 2015 sollten die Masern hierzulande eliminiert sein, so das erklärte Ziel der deutschen Gesundheitspolitik. Wie wir wissen, sind sie es nicht. Im Gegenteil: Seit dem Ausbruch der Infektionskrankheit im Oktober 2014 sind allein in Berlin mehr als 1100 Menschen an Masern erkrankt, ein Kleinkind ist daran gestorben. Und immer noch gibt es Neuerkrankungen.

Dabei gilt für Masern wie für andere Infektionen, an denen ein Mensch nur einmal im Leben erkranken kann: Sind 95 Prozent der Bevölkerung immun, kann sich ein Virus nicht mehr ausbreiten. Die Pocken oder auch Polio stellen für uns deshalb keine Gefahr mehr dar. Bei den Masern fehlen in Deutschland allerdings noch rund fünf Prozent, bis die sogenannte „Herdenimmunität“ erreicht ist.

Da liegt die Forderung nach einer Impfpflicht nahe. Die Bundesärztekammer will sie. Die Große Koalition aus SPD und CDU erwägt sie. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) schließt sie im Notfall nicht aus, Justizminister Heiko Maas (SPD) hält sie für juristisch durchsetzbar. Aber ist Zwang die richtige Lösung? Und wo liegt das eigentliche Problem?

Streitpunkt Impflücke

In puncto Masern sind momentan zwei wesentliche Impflücken auszumachen. Die größere der beiden betrifft die Generation der zwischen 1970 und 1990 Geborenen. In dieser Zeit war der Impfstoff gerade erst eingeführt – übrigens im Westen wie im Osten Deutschlands – und die meisten Kinder wurden nicht zweimal, sondern nur einmal gegen Masern geimpft. Heute weiß man, dass eine Spritze in der Regel nicht ausreicht, um jemanden vollständig zu immunisieren.

Die meisten Erwachsenen jenseits der 40 haben die Masern auf natürliche Weise „durchgemacht“. Jedoch nicht alle. Viele können sich nicht erinnern, wissen also nicht, ob sie immun sind oder nicht. Weil die Masern als „Kinderkrankheit“ gelten, werden sie bei Erwachsenen zudem oft spät erkannt – da bleibt viel Zeit für weitere Ansteckungen.

Für die zweite Impflücke sorgen jene Eltern, die sich willentlich gegen die Impfung ihrer Kinder entscheiden. Die Gründe dafür sind vielfältig, die Überzeugungen sicher auch. Die Eltern nehmen bewusst die möglichen Folgen für den eigenen Nachwuchs in Kauf – und damit auch für alle anderen. Egal ob es sich um Kinder oder nicht immunisierte Erwachsene in ihrem Umfeld handelt.

Die Mär der Globuli

Beide Impflücken, die „historische“ wie die aktuelle, sind Teil der Misere. Wer oder was genau wofür verantwortlich ist, kann niemand sagen – im gegenwärtigen Streit um die Impfpflicht gewinnt man aber schnell den Eindruck, für die Verbreitung der Masern seien allein die bornierten Impfverweigerer unter den Eltern zuständig – schnell identifiziert als Jünger Rudolf Steiners, die ihre Kinder mit Globuli füttern und nichts von der Schulmedizin wissen wollen.

Jenseits solcher Polemiken belegen Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts (RKI), dass die Zahl der geimpften Kinder tatsächlich von Jahr zu Jahr wächst. Bis zu 97 Prozent der Grundschüler sind einmal und 92 Prozent zweimal geimpft. Umfragen zeigen zudem, dass sich in Deutschland gerade mal ein Prozent der Eltern komplett gegen das Impfen ihrer Kinder ausspricht. Ein viel größerer Teil ist impfskeptisch, äußert Bedenken und hinterfragt die gängigen Impfempfehlungen.

Hier liegt der Schlüssel zur Lösung des Problems: Eltern müssen von der Wichtigkeit der Impfung überzeugt werden. Dafür braucht es keine Aufklärungskampagnen wie „Deutschland sucht den Impfpass“, sondern ausführliche Beratungsprogramme. Hausärzte sollten dazu angehalten werden, den Impfschutz ihrer Patienten systematisch zu überprüfen. Fehlt der Masernschutz oder ist der Impfstatus unsicher, sollten sie über die Sinnhaftigkeit einer Impfung aufklären, ohne die mit jeder Impfung verbundenen Risiken zu verschweigen.

Mut zur Auseinandersetzung

Untersuchungen zeigen, dass sich ein Großteil der Impfskeptiker nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Hausarzt von ganz allein für die Impfung entscheidet. Allerdings hat ein Kinderarzt, sofern er nicht als Homöopath tätig ist oder Privatpatienten behandelt, für detaillierte Gespräche wenig Zeit. Die Krankenkassen vergüten solche Beratungen jedenfalls nicht angemessen.

Geld gibt es, wenn geimpft wird – keine Basis für eine wirklich offene Beratung. Künftig müssen sich Eltern, bevor sie ihr Kind in die Kita geben, von einem Arzt beraten lassen – das ist ein guter Schritt. Aber warum erst dann? Kinder spielen schon vorher gemeinsam im Sandkasten und nicht alle von ihnen kommen in den Kindergarten.

Warum handelt der Gesetzgeber so inkonsequent? Fast könnte man meinen, die Impfpflicht ist wieder auf der Agenda, weil sie für Politik und Krankenkassen die einfachere, weil billigere Lösung ist. Und spätestens jetzt kann man sich fragen: Sind die Masern vielleicht gar nicht das eigentliche Problem?

 

Isis Isis Struiksma, geboren in Amsterdam, lebt und arbeitet seit 2013 als Illustratorin und Designerin in Berlin. Für das Ihre Gesundheitsprofis MAGAZIN wird sie 2015 die Texte in der Rubrik “Meinung” illustrieren.