Mein Doktor ist online – Telemedizin im Test

© Teleclinic

Eine persönliche medizinische Beratung – nicht in der Arztpraxis, sondern am Handy oder per Skype: Geht das? Unsere Redakteurin hat eine virtuelle Sprechstunde getestet.

Name, Alter, Wohnort, Geschlecht – die Anmeldung auf der Website der Teleclinic ist simpel. Dann folgen Fragen zu meinen Beschwerden. Ich tippe: „schlecht durchblutete Füße, gerade im Winter“, drücke auf „Senden“ und lehne mich zurück. Auf meinem Display öffnet sich ein Menü, eine Telefonnummer erscheint und ich kann mit einer medizinischen Assistentin von Teleclinic Kontakt aufnehmen – auch per Chat oder Video. Ich entscheide mich für die Old School-Variante: Ich rufe an.

Teleclinic ist ein junges Münchner Start-up. Die Idee der Gründer: ärztliche Beratung rund um die Uhr – oder zumindest immer zwischen 6 und 23 Uhr –, sieben Tage die Woche, egal ob zu Hause, auf der Couch, im Büro oder während des Urlaubs auf Gran Canaria. Bei Fragen zu Stimmungsschwankungen während der Schwangerschaft über Depressionen bis hin zu Impfungen und Haarausfall.

„Passt es Ihnen so in zwei Stunden?“

„Wenn man krank ist, ist man sehr emotional“, weiß Katharina Jünger, die das Unternehmen mitgegründet hat: „Und da das Internet momentan der schnellste Ratgeber und vielen der Weg zum Arzt zu weit ist, wird gegoogelt.“ Da sei die Verunsicherung vorprogrammiert – und ärztliches Fachwissen nötig.

Zurück zu meinem Anruf. Nervige Warteschleifenmusik gibt es nicht. Bei Teleclinic wird sofort abgenommen.

Meine Gesprächspartnerin ist freundlich, erkundigt sich nach meinen Beschwerden, fragt nach Vorerkrankungen, will wissen, ob ich abseits der schlechten Durchblutung Schmerzen in den Füßen oder Zehen habe. Dann empfiehlt sie mir die Rücksprache mit einem Allgemeinmediziner aus dem Teleclinic-Team. Wer da Zeit hat, müsse sie allerdings erst nachschauen. Der Arzt rufe mich dann zurück. „War ja klar“, denke ich. So rund um die Uhr funktioniert die Beratung anscheinend doch nicht.

Dann die Überraschung. „Passt es Ihnen in zwei Stunden, zwischen 18.30 und 20 Uhr?“. „Sicher“, stottere ich, „da habe ich gerade Feierabend.“

Über 100 Ärzte arbeiten bereits nebenberuflich für Teleclinic. Darunter Orthopäden, Dermatologen, Gynäkologen und Urologen; selbst die Onkologie wird abgedeckt. Angestellt sind die Ärzte bei Teleclinic bislang nicht. Mit jeder neuen Woche kommen weitere Bewerbungen, so Jünger.

Fernbehandlungsverbot – ein veraltetes Gesetz

Katharina Jünger © Teleclinic

Katharina Jünger © Teleclinic

Für mich ist die Sache allerdings nicht ganz so einfach. Ich bin, wie rund 85 Prozent der Bevölkerung, gesetzlich versichert. Bislang werden die Kosten für die Beratung durch Teleclinic-Ärzte jedoch nur von privaten Krankenversicherungen und einigen Betriebskrankenkassen erstattet. Gesetzlich Versicherte müssen, wenn ihr dreißigtägiges Probeabo abgelaufen ist, selbst zahlen – pro Beratungsgespräch sind das 29 Euro.

Das soll sich mit E-Health-Gesetz ändern. Ab Juli 2017 müssen die gesetzlichen Krankenkassen auch Online-Videosprechstunden in ihren Leistungskatalog aufnehmen. Die ersten Verhandlungen sind laut Teleclinic-Gründerin Jünger bereits in Gange.

Um Punkt 18.34 Uhr klingelt mein Telefon. Ich trinke gerade mit einer Freundin einen Kaffee, schnappe mir meinen Mantel und gehe kurz vor die Tür. Der Arzt wurde über meine Beschwerden informiert. Weitere Fragen hat er dennoch: „Seit wann besteht die schlechte Durchblutung?“, „Haben Sie einen Job, bei dem Sie viel stehen?“, „Gibt es in Ihrer Familie irgendwelche rheumatischen Vorerkrankungen?“

Stopp, Halt! Rheuma? Der Arzt beruhigt mich. Er will nur bestimmte Erkrankungen ausschließen. In der Regel haben solche Durchblutungsstörungen mit den Venen zu tun, genauer gesagt mit den Venenklappen, die das Blut nicht mehr richtig Richtung Herz transportieren. Rheumatische Erkrankungen stecken in den seltensten Fällen dahinter.

Dass der Arzt sich auf keine Ursache festlegen will, liegt nicht nur daran, dass er den Grund für meine Beschwerden nur schwer am Telefon bestimmen kann, sondern auch an Paragraf 7 Absatz 4 der Berufsordnung der Landesärztekammern. Diagnosen aus der Ferne sind demnach in Deutschland gesetzlich verboten. Hierzulande darf ein Arzt einen Patienten nur beraten, wenn er ihn mindestens einmal unmittelbar behandelt hat.

Doch ist dieses Gesetz in Zeiten von Google und Skype überhaupt noch zeitgemäß? Katharina Jünger hält klar dagegen. Tatsächlich stammt das Fernbehandlungsverbot aus dem Jahr 1910 und wurde damals vorrangig eingeführt, um Scharlatanen das Handwerk zu legen, die sich mit der Behandlung von Syphilis eine goldene Nase verdienten. Denn um die Geschlechtskrankheit zu kurieren, ließen sich viele Betroffene – oft aus Scham – anonym Medizin zuschicken. Viele der Arzneien enthielten allerdings Arsen.

Fernsprechstunden können den Arztbesuch nicht ersetzen

Andere Länder sind da weiter, zum Beispiel Großbritannien. Hier dürfen Ärzte ihre Patienten bei etwa 35 Krankheitsbildern nicht nur per Online-Videosprechstunde beraten, sondern auch konkrete Therapieempfehlungen geben und Rezepte ausstellen. Auch in der Schweiz werden virtuelle Arztbesuche bereits fleißig genutzt und können einige Medikamente bereits online verordnet werden.

Dass auch in Deutschland Interesse an solchen Fernsprechstunden besteht, zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Demnach konnte sich fast jeder zweite Befragte vorstellen, so ein Angebot zu nutzen. „Gerade für Ältere, chronisch Kranke und Menschen auf dem Land “, sagt Jünger, „sind Online-Sprechstunden ein gute Alternative.“ Teleclinic – und das ist der Jungunternehmerin, die auch Arzttochter ist, enorm wichtig – soll den Arztbesuch nicht ersetzen, sondern ihn um weitere Möglichkeiten ergänzen.

Der Meinung ist auch Professor Markus Weih, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Auch er bietet seit einigen Monaten Online-Sprechstunden über Teleclinic an. „Solche Beratungen sind viel flexibler. Der Patient muss nicht warten und auch ich kann die Gespräche von zu Hause aus führen“, sagt er. Außerdem nehme ihm Teleclinic organisatorische Aufgaben ab. Das Sortieren der Patientenanfragen nach Dringlichkeit, das Einlesen der Versichertenkarte, die Abrechnung mit den Krankenkassen – um all das muss er sich nicht kümmern.

Gut sieben Minuten hat mein Gespräch mit dem Teleclinc-Arzt gedauert. Am Ende verabschiedet er mich mit dem Rat, besser noch zum Allgemeinmediziner zu gehen und ein vollständiges Blutbild machen zu lassen. Alles lässt sich halt doch nicht am Telefon klären.