Wenn das Einfache schwierig wird

Wenn das Einfache schwierig wird – Demenz / © Isis Struiksma

© Isis Struiksma

Natürlich ist die Pflege eines Demenzkranken anstrengend. Sie kann aber auch sehr bereichernd sein – vorausgesetzt die Bedingungen stimmen. Ein Kommentar von Andreas Rath

Natürlich sind Menschen mit Demenz anders. Natürlich haben sie ihre Eigenarten. Und natürlich leben sie in ihrer oft sehr eigenen Vorstellungswelt.

Im Grunde sind sie also genau wie wir alle. Mit einem gravierenden Unterschied: Wir, die „gesunden“ Verwirrten, tun uns mit ihrer Andersartigkeit schwer. Sie ist nicht kompatibel mit unserem Bild von einem normalen, also normierten Leben. Wer von unseren Regeln abweicht, der verwirrt, schockiert, überfordert, entnervt oder provoziert uns. Keine gute Basis für Verständnis, Rücksichtnahme und Toleranz.

Das ist umso problematischer, als die Zahl der Menschen mit Demenz wächst und weiter wachsen wird. Fast jeder hat jemanden in seiner Familie oder seinem Umfeld, der an Demenz erkrankt ist. Selbst im Kino ist das Thema angekommen. Filme wie „Honig im Kopf“ oder „Still Alice“ zeigen nicht nur den Verlauf der Krankheit, sondern auch die unendliche Vielfalt und Bandbreite im Zusammenleben mit einem Demenzkranken.

Andreas Rath

Der Autor

Andreas Rath ist Mitglied im Vorstand der Alzheimer-Gesellschaft Berlin e.V. Er arbeitet als Altenpfleger, war lange Zeit Heimleiter und ist seit 2013 stellvertretender Pflegedienstleiter der Tagespflege „Die AUE“ der Diakonie-Stationen in Berlin-Charlottenburg und Wilmersdorf.

Die Welt des anderen kennenlernen

Seit 20 Jahren arbeite ich mit Demenzkranken. Wie jede Arbeit hat auch diese ihre anstrengenden Seiten. Aber vor allem erlebe ich sehr viel Bereicherndes. Demenz bedeutet nur sehr selten, dass die betroffenen Menschen all ihre Talente einfach verlieren. Wenn man diese Talente sucht und erkennt, kann man darauf aufbauen.

Unsere Aufgabe ist es, Räume zu schaffen, in denen diese Menschen mit all ihren Erfahrungen und Prägungen nach ihren individuellen Regeln leben können. Nennen wir es die schwierige Einfachheit des Lebens. Denn die Grundbedürfnisse der Betroffenen unterscheiden sich nicht wesentlich von den unsrigen.

In Pflegeeinrichtungen muss das Herumlaufen erlaubt sein, das Sammeln und Kramen. Auch, wenn es mal nervt und den geplanten Ablauf stört. Über Missgeschicke kann man sich ärgern, oder man kann darüber lachen. Mit den Menschen. Und ja, auch mal über sie (das tun sie umgekehrt nämlich auch). Hauptsache liebevoll.

Der Pflegeberuf braucht neben Fachkenntnissen vor allem Interesse an anderen und anderem. Es geht nicht darum, den anderen zu erziehen, sondern darum, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Natürlich ist es schwierig und anfangs sogar erschreckend, wenn jemand nicht mehr weiß, wie er heißt, und immer mehr im Ungefähren seiner eigenen Vergangenheit verschwindet. Sich auf diese andere, oft nur in Momenten greifbare Welt einzulassen, kann sehr berührend sein. Das macht es sehr viel leichter, die schwierigen und anstrengenden Momente im Zusammenleben mit Demenzkranken „auszuhalten“.

Welchen Wert hat ein pflegebedürftiger Mensch?

Die vormalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen schlug den sogenannten „Schlecker-Frauen“ vor, sich zu Altenpflegerinnen umschulen zu lassen. Bestimmt gibt es die eine oder andere, mit der ich – Qualifizierung vorausgesetzt – gerne zusammenarbeiten würde.

Aber was bedeutet es, wenn Politiker glauben, der Personalmangel in Pflegeheimen ließe sich mit/aus der „Konkursmasse“ einer Billigdrogerie beheben? Ist das der Blick der Politik und vielleicht sogar der unserer Gesellschaft auf den Wert pflegebedürftiger Menschen?

Gesundheitsminister Hermann Gröhe will jetzt mit dem neuen Pflegestärkungsgesetz II den Pflegebedürftigkeitsbegriff neu definieren, damit endlich auch Menschen mit Demenz einen Anspruch auf Pflegegeld haben. Vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung. Hoffentlich.

 

Isis StruiksmaIsis Struiksma, geboren in Amsterdam, lebt und arbeitet seit 2013 als Illustratorin und Designerin in Berlin. Für das Ihre Gesundheitsprofis MAGAZIN illustriert sie 2015 die Texte in der Rubrik “Meinung”.