Nocebo-Effekt – Wie die Psyche Therapieerfolge verhindern kann

© picture alliance/dpa Themendienst

© picture alliance/dpa Themendienst

Den Placebo-Effekt kennen viele – das sind zum Beispiel Pillen, die helfen, obwohl sie gar keinen Wirkstoff haben. Das negative Pendant dazu ist weniger geläufig: der Nocebo-Effekt. Dabei kann der mitunter sogar dafür sorgen, dass Patienten Therapien abbrechen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Ihren Arzt oder Apotheker.” Diesen Spruch aus der Werbung für ein Medikament kennt nahezu jeder. Doch ganz unproblematisch ist die Lektüre der Gebrauchsinformation eines Arzneimittels nicht für jeden. Denn manch einer fühlt sich durch die lange Liste der möglichen negativen Begleiterscheinungen des Präparates derart verunsichert, dass sich Beschwerden tatsächlich einstellen. In einem solchen Fall ist vom Nocebo-Effekt die Rede.

Nocebo-Effekt – was ist das genau?

Der Nocebo-Effekt ist das negative Pendant zum Placebo-Effekt. Beide Begriffe kommen aus dem Lateinischen. Placebo steht für “Ich werde gefallen”. Dieser Effekt tritt ein, wenn ein Mittel ohne Wirkstoff, also ein Scheinmedikament, Schmerzen lindert. Beim Nocebo-Effekt ist es genau andersherum. Der Begriff bedeutet “Ich werde schaden”. Beim Nocebo-Effekt handelt es sich um negative Reaktionen des Körpers auf eine medizinische Behandlung – hervorgerufen durch negative Einstellungen, Angst oder frühere negative Erfahrungen, wie die Ärztin Christiane Roick vom AOK Bundesverband erläutert.

Welche Rolle spielt dabei die eigene Psyche?

Sie ist der Dreh- und Angelpunkt. “Die Psyche ist derart mächtig, dass sie Beschwerden auslösen kann”, sagt Psychiater und Hochschullehrer Prof. Gerhard Gründer. So ist bei Patienten die Wahrscheinlichkeit hoch, dass bestimmte Nebenwirkungen auftreten, wenn sie davon fest überzeugt sind. Ist in der Packungsbeilage beispielsweise die Rede davon, dass ein Medikament Migräne oder Rückenschmerzen verursachen kann, dann stellen sich bei einigen solche Beschwerden tatsächlich ein. In anderen Fällen verschlimmern sich die Symptome. “Das kann sogar so weit gehen, dass Patienten angezeigte und für ihre Gesundheit wichtige Therapien nicht fortführen”, erklärt Roick.

Ist der Nocebo-Effekt überhaupt wissenschaftlich belegt?

“Die Existenz von Nocebo-Effekten ist wissenschaftlich sehr gut belegt”, sagt die Hochschullehrerin an der Klinik für Neurologie der Universitätsklinik Essen, Prof. Ulrike Bingel. Sie gehört zu einem Forscherteam, das sich mit Placebo- und Nocebo-Effekten beschäftigt. Bingel verweist auf Studien, wonach die Bedeutung von Nocebo-Effekten für das Scheitern von medizinischen Behandlungen im klinischen Alltag oft unterschätzt wird.

Bei anderen Studien wurden Medikamente mit Placebos verglichen. Hierbei wussten Patienten aber nicht, ob die von ihnen eingenommenen Tabletten einen Wirkstoff enthalten oder nur ein Placebo sind. In diesen Studien finden sich in der Placebogruppe oft ähnlich häufig Nebenwirkungen wie in der Wirkstoffgruppe – ein klarer Hinweis also auf Nocebo-Effekte.

Muss denn trotzdem jede mögliche Nebenwirkung aufgelistet werden?

Ja, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Diese Informationen wollen Ärzte und Apotheker, aber auch Verbraucherschutz- und Patientenorganisationen ausdrücklich haben. “Die Hinweise sind wichtig für die Abwägung von Nutzen und Risiken einer individuellen Therapie”, betont Siegfried Throm. Er ist Geschäftsführer Forschung beim Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa).

Was können Ärzte tun, um Nocebo-Effekte zu verhindern?

Ärzte sollten im Gespräch auf den Patienten individuell eingehen und sich in seine Lage versetzen. Wichtig ist hierbei, sich verständlich auszudrücken, also keinen Fachjargon zu benutzen. “Unbedachte und negative Äußerungen sollten möglichst vermieden werden”, sagt der Robert Jütte, Vorstandsmitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer.

Und was können Patienten selbst tun?

“Nocebo-Effekte lassen sich nicht mit Sicherheit vermeiden”, erklärt Roick vom AOK Bundesverband. Hilfreich kann aber sein, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass auch eigene Erwartungen und Einstellungen einen Einfluss auf die medizinische Behandlung haben. “Wenn ein Patient durch eine in der Packungsbeilage aufgezählte mögliche Nebenwirkung verunsichert ist, dann kann er beim Arzt oder Apotheker fragen, wie häufig überhaupt die negative Begleiterscheinung bislang aufgetreten ist”, sagt die Mannheimer Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Doris Wolf. Heißt es dann “in zehn Fällen nur einmal”, dann sollte sich der Patient vor Augen führen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet er betroffen sein wird, nicht unbedingt gegeben ist.

Gründer rät außerdem dazu, Informationen über ein bestimmtes Medikament oder eine Behandlung, die ein Patient zum Beispiel im Internet oder in den Medien liest, kritisch zu hinterfragen. “Prinzipiell ist es gut, wenn Menschen sich selbst informieren”, betont der Psychiater. Allerdings sollte über die erworbenen Kenntnisse in jedem Fall mit dem behandelnden Arzt gesprochen werden, schließlich ist eine Therapie immer individuell – und jeder Fall ist anders. Wolf empfiehlt Patienten, Katastrophenfantasien bewusst zu durchbrechen und sich positiven Dingen zuzuwenden. “Hilfreich kann auch sein, Berichte und Biografien von Menschen zu lesen, die die Krankheit überwunden haben”, sagt sie.

Von Sabine Meuter (dpa)