Nussallergie: Wenn Schokocreme zur Gefahr wird 

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Hautausschlag, Bauchkrämpfe, Atemnot: All das kann passieren, wenn ein allergisches Kind eine Erdnuss isst. Oft werden die Eltern von der ersten Reaktion kalt erwischt. Was bei einem anaphylaktischen Schock zu tun ist – und wie sich Familien danach wappnen können.

„Die erste Reaktion kommt wie ein Blitz aus heiterem Himmel“, sagt Matthias Kopp. Das Kind isst etwas und plötzlich geht es los: Rote Stellen auf der Haut, das Kind kratzt sich. Es erbricht vielleicht oder bekommt auf einmal keine Luft mehr. All das können Anzeichen einer Lebensmittelallergie sein. Gegen Erdnüsse oder Nüsse kommen sie besonders häufig vor. Ist ein Kind betroffen, verändert sich sein Leben – und auch das der Eltern.

„Wann und wie sich der Körper gegen ein Allergen sensibilisiert und das als gefährlich einstuft, bekommt man nicht mit“, erklärt Kopp, der die Kinderpneumologie und -allergologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck leitet. Deswegen sind die meisten nicht auf die erste allergische Reaktion vorbereitet.

Das Kind nicht selbst ins Krankenhaus fahren

„Damit unser Immunsystem lernt zu unterscheiden, was gefährlich ist und was nicht, braucht es die Auseinandersetzung mit Antigenen aus der Umwelt“, sagt Kopp. Die hat aber in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen. Die Menschen leben unter immer hygienischeren Bedingungen. Womöglich lernt das Immunsystem dadurch nicht mehr so richtig, wer Freund ist und wer Feind. Wird dann eigentlich Harmloses wie Haselnuss, Walnuss oder Pistazie als Feind eingestuft, bekämpft der Körper es heftig.

Schlimmstenfalls kommt es zum anaphylaktischen Schock. Er beginnt in vielen Fällen mit einer Hautreaktion, erklärt Sabine Schnadt, Nahrungsmittelallergie-Expertin beim Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB). „Es kann zu Rötungen, Schwellungen und Juckreiz kommen. In der Regel sind mehrere Organsysteme gleichzeitig oder nacheinander betroffen.“

Im Magen-Darm-Bereich sind typische Symptome Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und heftige Bauchkrämpfe. Lebensbedrohlich wird es, wenn die Atemwege betroffen sind, dann kann es zu einem Asthmaanfall und im schlimmsten Fall zum Atemstillstand kommen. Auch Kreislaufversagen ist möglich.

Reagiert ein Kind erstmalig auf diese Weise, nachdem es Nüsse gegessen hat, sollten Eltern rasch handeln, sagt Allergologe Kopp. „Alles in der ersten halben Stunde nach der Nahrungsmittelaufnahme ist hochgradig gefährlich, und da muss man auch Sorge haben, dass sich die Symptome rasch verschlechtern.“

Es rät, zu schauen: Welche Symptome sind da? Ein Engegefühl im Hals? Verändert sich die Sprache, speicheln die Kinder oder klagen über Schwindelgefühl? In so einer Situation sollte man sofort den Notarzt rufen und auf Hilfe warten. Keinesfalls sollten sich die Eltern selbst ans Steuer setzen.

Ist dem Kind erstmal geholfen, steht die Diagnose an. Dabei kann ein Bluttest helfen. „Goldstandard“ ist laut Kopp jedoch ein aufwendigerer Test in der Klinik, wo das Kind kleinste Allergenmengen unter genauer Überwachung isst. Stellt sich dabei heraus, dass der Körper tatsächlich auf Erdnuss oder Nüsse reagiert, sind sie ab sofort tabu.

Bei vielen Eltern löst das erst einmal Sorge aus, weiß die Berliner Kinderärztin Ute Staden. Sie schult Eltern und Kinder beim „Förderkreis Schulung chronisch kranker Kinder“ im Umgang mit Nahrungsmittelallergien. „Ins Restaurant gehen oder das Kind zu einer Geburtstagsparty schicken, das kommt einem alles erstmal wie ein Risiko vor. Aber es ist ja alles handelbar.“

Spurenhinweise auf Produkten sind freiwillig

Der Blick auf Zutatenlisten wird zur Gewohnheit: Erdnuss und Schalenfrüchte sind Allergene, die gekennzeichnet werden müssen. Viele Hersteller drucken außerdem Hinweise wie „Kann Spuren von Schalenfrüchten enthalten“ auf die Verpackung. „Da geht es je nach Risikobewertungsverfahren des Herstellers zum Beispiel um eine Kontamination beim Vorlieferanten oder darum, dass Nüsse im gleichen Betrieb verarbeitet werden“, erklärt Schnadt.

Solch ein Spurenhinweis sei allerdings freiwillig. Im Zweifel sollten Eltern direkt beim Hersteller nachfragen. Denn schon kleine Krümel können gefährlich sein. „Bei den Erdnussallergikern wissen wir, dass es Patienten gibt, die auf minimalste Spuren in der Umwelt reagieren“, berichtet Matthias Kopp. „Es sind Fälle beschrieben, dass es ausreicht, wenn andere im Raum eine Tüte Erdnussflips öffnen.“

Nussallergiker sollten deshalb ihre Notfallmedikamente immer bei sich haben. Eine Adrenalinspritze erweitert die Atemwege und verengt die Blutgefäße. „Da gibt es Pens, die aussehen wie dickere Kugelschreiber. Die sind in der Handhabung sehr einfach, man setzt sie auf den Oberschenkel und bedient den Auslöser. Das ist die wichtigste Maßnahme, und da darf man keine Scheu haben, die einzusetzen“, sagt Kopp.

In Schulungen lernen Eltern und mit zunehmendem Alter auch die Kinder und Jugendlichen den Umgang damit. Die Kinder sollten die Symptome kennen und wissen: „Ich muss Hilfe holen und zögere nicht lange“, sagt Schulungsleiterin Staden. Ansprechpartner sind spezialisierte Kinderärzte, Kliniken mit Allergologie-Abteilungen sowie AGATE, der Dachverband für Anaphylaxieschulungen. Der DAAB bietet auch Webinare an.

Erzieher und Lehrer gehören mit ins Boot. Sie sollten über Essensregeln Bescheid wissen und im Ernstfall das Adrenalin verabreichen können. „In einer Notfallsituation wäre es unterlassene Hilfeleistung, wenn sie das nicht machen würden“, betont Kopp. Kinderärztin Staden schult auch Betreuer. „Die Angst, dass man was falsch machen kann, ist nicht berechtigt. Und das Betreuungspersonal ist gesetzlich durch die Unfallversicherung abgesichert.“ Sie rät Eltern deshalb, das Thema offen und ruhig bei Erziehern und Lehrern anzusprechen.

Von Christina Bachmann (dpa)