Syphilis – die gibt es doch schon lange nicht mehr. Oder? Die einstige Massenerkrankung schien in Deutschland weitgehend verschwunden. Seit einigen Jahren aber steigen die Fallzahlen rasant, vor allem in der Schwulenszene der Großstädte.
Sie gilt als „Chamäleon“ unter den sexuell übertragbaren Krankheiten: Weil die Symptome der Syphilis oft weder sichtbar noch schmerzhaft sind, bleibt die Bakterieninfektion zunächst häufig unentdeckt. Umso deutlicher wird die Situation beim Blick auf die Zahl gemeldeter Syphilis-Fälle: 2014 stieg sie auf einen neuen Höchstwert von 5722 Neudiagnosen, wie das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin kürzlich mitteilte. Demnach gibt es seit 2010 einen kontinuierliche Anstieg – und auch im ersten Halbjahr 2015 hielt der Trend an.
Vorrangig ist die Krankheit in der Schwulenszene präsent. Bei Frauen und heterosexueller Übertragung blieben die Zahlen unauffällig. 84 Prozent der Fälle gehen nach den RKI-Daten vermutlich auf einen sexuellen Kontakt zwischen Männern zurück. Hinzu kommt der Faktor Großstadt: Berlin mit seinen zahlreichen Clubs, Saunen und Pornokinos liegt bei den Fallzahlen bundesweit klar vorn. Die Rate der Neuerkrankungen lag dort 2014 bei 31 Fällen je 100 000 Einwohner. In der Hauptstadt erkranken damit ins Verhältnis zur Einwohnerzahl gesetzt mehr als viermal so viele Menschen wie im bundesweiten Mittel (7,1/100 000). Hamburg steht mit 19,7 Meldungen je 100 000 Einwohner an zweiter Stelle.
Syphilis
Syphilis wird durch das Bakterium Treponema pallidum hervorgerufen und lässt sich mit Penizillin gut behandeln. Zu den ersten Symptomen zählen Geschwüre im Genitalbereich oder im Mund. Diese sondern eine stark ansteckende Flüssigkeit ab. Bei sexuellen Handlungen kann es so zur Übertragung kommen. Nach dem Abheilen der Geschwüre verläuft die Krankheit in Schüben. Unbehandelt führt Syphilis zu Hautausschlägen und später auch zu Organschäden. Davon kann auch das Gehirn betroffen sein – mit neurologischen Folgen. Noch um 1900 galten viele Psychiatrie-Patienten mit der Diagnose als unheilbar krank. Heute ist bekannt, dass sich Betroffene leichter mit HIV anstecken. Seit 2001 ist die Krankheit meldepflichtig.
Geschlechtskrankheiten nehmen generell zu
Party-Wochenenden unter Einfluss stimulierender Drogen wie Crystal seien eine Ursache, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für sexuell übertragbare Krankheiten (DSTIG), Professor Norbert Brockmeyer. Mit den Drogen sinke das Risikobewusstsein der Nutzer, die zudem über traditionelle Drogenberatungsstellen schwer erreicht würden. Die Fallzahlen bei Geschlechtskrankheiten nehmen demnach generell zu – die Daten zur meldepflichtigen Syphilis seien der Indikator dafür.
Doch auch außerhalb der großstädtischen Szene breitet sich die Bakterieninfektion aus: Knapp ein Drittel der Meldungen stammen laut RKI aus Orten mit weniger als 100 000 Einwohnern. „Wir vermuten, dass es für Männer leichter geworden ist, durch das Internet beispielsweise, vielleicht auch durch Dating-Apps, andere Männer kennenzulernen“, sagte die RKI-Expertin für sexuell übertragbare Infektionen, Viviane Bremer. „Gefühlt kennt man sich eigentlich, das erschwert die Kondom-Nutzung“, sagt Brockmeyer mit Blick auf das „neue Dating-System“, bei dem meist ein Nachrichtenaustausch dem ersten Treffen vorausgehe und ein trügerisches Vertrauen schaffe.
Mehr ungeschützter Sex
Eigentlich glaubte man Syphilis, die einst als Strafe für ein allzu sündiges Leben galt, in Deutschland längst unter Kontrolle. Mit der Ausbreitung von Aids – und Safer Sex – in den 80-ern gingen die Fallzahlen zurück. Inzwischen lässt sich das HI-Virus mit Medikamenten im Körper so weit zurückdrängen, dass dem Partner auch bei ungeschütztem Sex kaum Ansteckung droht. Rühren die nach oben geschnellten Syphilis-Zahlen daher? Ja, glauben manche. Die Aids-Hilfe erwartet in Kürze neue Studienergebnisse und will nicht spekulieren.
„Wir sehen immer wieder in Studien, dass HIV-Positive eher mal ungeschützten Sex mit anderen HIV-Positiven haben“, erläutert Bremer vom RKI. „Wir können das nicht in den Meldedaten abbilden, aber vermuten, dass viele der Syphilis-Fälle bei HIV-Positiven vorkommen.“ Die mögliche Infektion mit den Bakterien werde als „kleineres Übel“ in Kauf genommen.
Die RKI-Zahlen legen für Armin Schafberger, Medizin-Referent bei der Deutschen Aids-Hilfe, noch ein anderes Problem offen: „Wir müssen früher diagnostizieren.“ Nur in etwa einem Drittel der Fälle wurde Syphilis in einer frühen Phase festgestellt. Mindestens einmal jährlich sollten gefährdete Personen zu einem vorbeugenden Test, rät die Aids-Hilfe. Den bezahlt die Kasse allerdings nur, wenn Symptome vorhanden sind. Dazu zählen Geschwüre an Penis oder Scheide und Lymphknotenschwellungen, später auch schmerzhafte Hautknötchen sowie Organveränderungen.
Mehr Aufklärung
Erst bei Symptomen zu handeln, hält Schafberger für zu spät – eben weil die Krankheit so oft unbemerkt bleibt. Bei Kontrollen würden oft auch weitere sexuell übertragbare Erreger festgestellt – Chlamydien und Gonokokken etwa. In anderen EU-Ländern sieht es dem RKI-Bericht zufolge sowohl beim Zugang zu Tests als auch spezifischen Untersuchungen weit besser aus.
Die Syphilis-Welle rollt demnach in ganz Westeuropa, auch Großbritannien und die USA sind betroffen. „Gerade Berlin ist attraktiv für Männer, die sich hier am Wochenende vergnügen wollen“, sagt Bremer. Wie man vorbeugen könnte? Gute, leicht verständliche Kampagnen zum Schutz beim Sex und neue Beratungsansätze sind das eine, glaubt Brockmeyer. Darüber hinaus sei der einzige Weg: „ein freier Umgang mit Aufklärung“ – schon in der Schule.
Von Gisela Gross (dpa)