„Sie betrieben Grundlagenforschung am Krankenbett“

Georg Tischendorf (Maximilian Meyer-Bretschneider, r.) in einer Vorlesung von Prof. Virchow (Ernst Stötzner, l.).
© ARD/Nik Konietzny

Am Dienstag, 21. März 2017 um 20.15 Uhr startet in der ARD eine neue TV-Serie über die Charité – angesiedelt ist der Sechsteiler Ende des 19. Jahrhunderts. Doch wie korrekt ist die Darstellung der damaligen Verhältnisse? Darüber sprachen wir mit dem Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité, Professor Thomas Schnalke, der das Filmteam beraten hat.

Prof. Thomas Schnalke © Wiebke Peitz, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Redaktion: Im Mittelpunkt der Serie stehen die drei Nobelpreisträger Robert Koch, Emil von Behring und Paul Ehrlich, dazu der berühmteste Arzt der Charité, Rudolf Virchow. Sie haben die Produktion als medizinhistorischer Berater begleitet. Was heißt das genau?

Thomas Schnalke: In unserer Dauerausstellung dokumentieren wir gut 300 Jahre Medizingeschichte – und der Charité kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu. Wir haben über die Jahre hinweg umfangreiche Informationen zusammengetragen – über das Krankenhaus, die dort tätigen Ärzte, aber auch über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der Zeit. Dieses Wissen haben wir den Drehbuchautorinnen, Dorothee Schön und Sabine Thor-Wiedemann, zur Verfügung gestellt. Regisseur Sönke Wortmann und einige Schauspieler waren ebenfalls häufig hier.

Weshalb sind sie in das Museum gekommen?

Um ein Gespür für die Atmosphäre in so einem Krankenhaus zu bekommen, denke ich. Und um sich den historischen Persönlichkeiten zu nähern, die im Film auftreten.

Sie haben also nicht nur in Ihrem Büro zusammengesessen und Bücher gewälzt.

Nein, wir waren tatsächlich viel in den Ausstellungsräumen. Dort gibt es allerhand Zeugnisse aus der Zeit: Büsten und Porträts, Präparate und Lehrmodelle, alte Messinstrumente, Laborutensilien sowie etliche Originalhandschriften in Sütterlin. Das Herzstück der Ausstellung ist der dunkel lasierte, fast zwei Meter lange Schreibtisch, an dem Virchow arbeitete und forschte. Sönke Wortmann hat sich sogar in einem der alten Hörsäle eine unser Medizinvorlesungen angehört.

Die Serie bemüht sich also um historische Korrektheit.

Absolut. Sie zeichnet nicht nur ein authentisches Bild der damaligen Verhältnisse …

Die Ärzte der Serie

rudolf_virchowDer Arzt und Politiker Rudolf Virchow (1821-1902) beschrieb als erster die Krankheiten Thrombose und Leukämie und setzte sich für die Einführung einer medizinischen Grundversorgung sowie für bessere Hygienebedingungen ein.

 

emil_von_behringDer Arzt und Immunologe Emil von Behring (1854-1917) stellte zusammen mit Paul Ehrlich erstmals ein Heilserum gegen Diphtherie her. Für seine Leistungen wurde er mit dem allerersten Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet.

 

robert_kochDer Arzt und Bakteriologe Robert Koch (1843-1910) entdeckte die Erreger von Milzbrand und Tuberkulose. Für seine Forschung erhielt er ebenfalls den Nobelpreis für Physiologie und Medizin.

 

paul_ehrlichDer Arzt und Chemiker Paul Ehrlich (1854-1915) entwickelte das erste wirksame Medikament gegen Syphilis und gilt als Begründer der Chemotherapie. Für seine Beiträge zur Immunologie erhielt auch er den Medizin-Nobelpreis.

 

… einer Zeit, in der die Charité weder über elektrisches Licht noch über fließendes Wasser verfügte, in der mit Torf geheizt wurde, die Patienten sich auf dem Plumpsklo im Wandschrank erleichterten und die meisten Menschen nicht älter als 35 wurden.

Ein Wesenszug der Serie ist auch das Bemühen, die historischen Figuren, mit ihren teils sehr widersprüchlichen Charakterzügen zu erfassen.

Mit der Vergangenheit die Gegenwart besser begreifen

Haben Sie ein Beispiel?

Die Getriebenheit von Emil von Behrings spiegelt dies unheimlich gut wider. Behring ist derjenige, der seine Forschung zum Anti-Diphtherie-Serum unbedingt und um jeden Preis zum Erfolg führen will und dies auch schafft. Gleichzeitig leidet er unter seinem starken Ehrgeiz und hat immer wieder depressive Phasen.

In der Serie ist Behring opiumabhängig. Das erinnert ein bisschen an die US-amerikanische Erfolgsserie „The Knick“. Ist seine Drogensucht historisch belegt?

Was wir wissen, ist, dass er in seinen späteren Jahren, also zwischen 1907 und 1910, in einem Sanatorium in München war und dort mit Beruhigungsmitteln behandelt wurde. Ob er diese schon in seiner Zeit an der Charité nahm und ob er abhängig war, dazu haben wir keine Quellen. Diese Darstellung ist wohl eher der Dramaturgie geschuldet.

Ist es für Sie als Historiker ein Problem, Fakt und Fiktion derart zu vermengen?

Nein. Ich persönlich lese gerne historische Romane – und die „Charité“ ist eben zu weiten Teilen eine fiktive TV-Serie. Wichtig ist, dass die Zeichnung der Personen und ihrer zentralen Lebensleistungen, aber auch die gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen stimmen. Bei den Detailfragen bewegen wir uns immer in einer Grauzone. Vieles – da bin ich ganz ehrlich – wissen wir einfach auch (noch) nicht. Für mich sind solche Serien und Bücher wie ein eigenes Genre, eine Art historisches Science-Fiction.

Sind in der Serie irgendwelche Jedi-Ritter versteckt?

(Lacht) Ich meine das tatsächlich wörtlich: „Science“ ist die Wissenschaft und „Fiction“ die Fiktion. Solche Serien sind Unterhaltung – und die zielt im besten Sinne des Wortes darauf ab, dass die Zuschauer zu dem was sie sehen eine Haltung einnehmen. Fragen sie sich dann, ob das wirklich alles so stimmt, wie es im Film erzählt wird, und fangen vielleicht selber an nachzurecherchieren, um so besser. Historisches Interesse zu wecken, ist nicht nur meine Aufgabe als Museumsleiter, sondern auch als Historiker. Sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen, hilft uns letztendlich, die Gegenwart besser zu begreifen.

 

Auch wenn das Erzählte dem Faktencheck nicht standhält?

Klar gibt es die „basic facts“ – und die müssen stimmen. Geschichte ist aber immer auch eine Frage der Perspektive und dadurch der Interpretation. Die Entscheidung, welche Sicht wir einnehmen, welchen Fokus wir legen, entscheidet darüber, wie wir die Vergangenheit erzählen und welche aktuellen Bezüge wir herstellen.

Selbstversuche und die Nähe zum Patienten

Was lehrt uns die Serie „Charité“?

Sie erinnert uns beispielsweise daran, wie wichtig die Nähe zum Patienten ist – auch in der Forschung. Die Labore von Koch und Behring waren nur wenige Meter von den Krankenstationen entfernt. Die Grundlagenforschung fand Tür an Tür zum Patienten statt, die Ärzte hatten die Missstände, die Krankheiten, die sie bekämpfen wollten, direkt vor Augen. Viele von ihnen wohnten sogar in der Charité. Dazu kommt die Passion, mit der unsere vier Nobelpreisträger ihre Forschung vorantrieben.

Um die Wirkung seines Impfstoffes gegen Tuberkulose zu testen, infizierte Robert Koch sich selbst.

Dass wir das heute nicht mehr machen müssen, darüber bin ich froh. Der Selbstversuch verdeutlicht jedoch auch den inneren Drang, mit dem Koch seine Forschung betrieb – schließlich starben an der Tuberkulose damals Hunderttausende von Menschen. In der Medizin legitimiert sich Forschung letztendlich immer nur über ihren Anwendungsbezug. Gleichzeitig darf das Schicksal des Einzelnen, des Individuums darüber nicht vergessen werden – dieses Zusammenspiel bringt „Charité“ auf den Punkt.

Bildquelle: History of Medicine (NLM), Wikimedia Commons; Wellcome Library, London, Wikimedia Commons, lizenziert unter CC BY 4.0