Spezialisten für Barrierefreiheit

© picture alliance / Robert Schlesinger

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Barrierefreiheit sorgt dafür, dass Menschen mit Behinderung besser durch den Alltag kommen. Wer sich damit auskennt, hat auf dem Jobmarkt gute Chancen, sagen Experten. Spezialist für Barrierefreiheit wird man aber oft nur mit viel Eigeninitiative.

Wer im Internet surft, muss mit dem Arm die Maus bewegen können. Wer dort Videos anschaut, muss sehen und hören können. Und wer Texte liest, muss sie verstehen können. Klingt banal, ist es aber nicht. Denn für Menschen mit Behinderung sind solche scheinbaren Selbstverständlichkeiten oft unüberwindbare Hürden. Um das Internet und andere wichtige Teile des Alltagslebens auch für sie zugänglich zu machen, gibt es das Konzept der Barrierefreiheit – und Spezialisten, die sich darum kümmern.

Einer dieser Spezialisten ist Jan Hellbusch, Webdesigner und Berater aus Dortmund. Er sorgt dafür, dass Webseiten für Menschen mit verschiedenen Behinderungen nutzbar sind: „Sehbehinderte haben zum Beispiel bestimmte Anforderungen an Farben und Kontraste“, nennt er ein Beispiel. Wichtig ist je nach Behinderung des Nutzers außerdem, dass sich Internetangebote gut per Tastatur bedienen lassen, Videos Untertitel haben oder Webseiten mit Screenreadern zusammenarbeiten. Das sind kleine Programme, die blinden Nutzern Texte vorlesen.

Screenreader lesen Bildunterschriften vor

Auf Webseiten öffentlich finanzierter Institutionen wie Behörden oder Ministerien ist Barrierefreiheit Pflicht, zu finden ist sie aber auch anderswo. „Die großen amerikanischen Anbieter wie Google oder Facebook sind schon lange ziemlich barrierefrei“, sagt Hellbusch. „Und hier in Deutschland haben sich manche Banken zum Beispiel schon vor Jahren damit befasst.“ Gerade hierzulande ist trotzdem aber noch längst nicht jede Webseite oder jedes Informationsangebot barrierefrei.

Viel zu tun also – und damit eine Chance für Arbeitnehmer? „Wer über die erforderlichen Qualifikationen verfügt, hebt sich von anderen Bewerberinnen auf dem Arbeitsmarkt ab“, sagt Jutta Croll, Vorsitzende der Stiftung Digitale Chancen. „Das gilt nicht nur für Programmierer und Anwendungsentwickler, denn Barrierefreiheit betrifft neben den technischen Aspekten digitaler Kommunikation auch die Inhalte.“

Bildredakteure müssen Fotos zum Beispiel mit sogenannten Alternativtexten versehen, die Screenreader dann vorlesen. Wortredakteure kümmern sich um die sogenannte Leichte Sprache, etwa für Nutzer mit Lernschwächen. Und natürlich ist barrierefreie Kommunikation nicht nur im Internet ein Thema: Auch Ausstellungen in Museen wollen oder müssen heute oft barrierefrei sein. Gebärdensprachdolmetscher übersetzen Fernsehsendungen, Bühnenprogramme und andere Veranstaltungen.

Barrierefreiheit im Selbststudium

Die entsprechenden Qualifikationen zu bekommen, ist oft aber gar nicht so leicht. Bei der Ausbildung zum Webdesigner, also zum Mediengestalter Digital, spielt das Thema laut Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zum Beispiel keine Rolle. „In den verschiedenen Ausbildungen kommt das nur ganz selten vor“, sagt auch Jan Hellbusch. „Da gibt es nur einzelne Angebote.“ Stattdessen sei es noch so, dass sich etwa Webdesigner Informationen über Barrierefreiheit im Selbststudium aneignen müssen.

„Ich habe in den 90er Jahren angefangen, mich damit zu beschäftigen“, erzählt Hellbusch. „Und mir die wesentlichen Informationen dann selbst in Blogs und Foren zusammengesucht.“ Was nicht ganz leicht war, wie er sagt – etwa, weil es viele wichtige Quellen nur auf Englisch gibt. Für Gebärdensprachdolmetscher gibt es dagegen spezielle Studiengänge, und in anderen Bereichen ist das Thema Barrierefreiheit schon fester Teil der regulären Ausbildung – zum Beispiel, wenn es um barrierefreies Bauen geht.

„Die Grundlagen werden an der Uni bei den Architekten definitiv gelehrt, das ist fester Studienbestandteil“, sagt Barbara Schlesinger von der Bundesarchitektenkammer. Dabei geht es längst nicht nur um Rollstuhlrampen, sondern zum Beispiel auch um Treppenmarkierungen für Menschen mit Sehbehinderung. Und selbst für Demenzkranke könnte es künftig angepasste Bauformen geben, die ihnen den Alltag erleichtern.

Wenn es hier neue Entwicklungen gibt, lernen Architekten das auf entsprechenden Seminaren oder Lehrgängen, sagt Schlesinger. „Das Interesse daran ist definitiv groß, und in den letzten Jahren ist es noch stärker geworden.“ Was auch daran liegt, dass sich viele Erkenntnisse aus dem Bereich Barrierefreiheit auch auf altersgerechtes Wohnen übertragen lassen – und umgekehrt.

Wie wäre es mit einem Barrierefreiheits-Manager?

Geht es um Barrierefreiheit in der Kommunikation, ist das Interesse noch nicht ganz so groß. „Wer sich mit Barrierefreiheit befasst, bezieht seine Motivation oft aus eigener oder indirekter Betroffenheit“, sagt Jutta Croll. Viele Spezialisten haben also selbst eine Behinderung oder kommen über Verwandte und Bekannte mit dem Thema in Berührung. Die Expertin kann sich aber vorstellen, dass der Bedarf nach Spezialisten für Barrierefreiheit in Zukunft steigt, auch als eigenes Berufsbild.

„Für Fachkräfte mit Kenntnissen in Barrierefreiheit gibt es in unterschiedlichen Bereichen einen Arbeitsmarkt – auch da, wo es nicht sofort ersichtlich ist“, sagt Croll. „Es geht zum Beispiel nicht nur um die Umsetzung, sondern auch um die Konzeption.“ Denkbar sei zum Beispiel eine Art Barrierefreiheits-Manager, erklärt die Expertin.

Der käme immer dann ins Spiel, wenn es darum geht, verschiedene Arten von Barrierefreiheit sinnvoll zu kombinieren. Plant ein Architekt ein barrierefreies Museum, braucht es schließlich auch entsprechende Ausstellungen, passende Broschüren und eine für Menschen mit Behinderung nutzbare Webseite – und eine ordnende Hand, die all die Einzelteile zusammenführt.

Von Tobias Hanraths (dpa)