Studie der TK: Neue Arzneimittel bringen oft wenig

© picture-alliance/chromorange

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Die Industrie erzielt auf dem Pharma-Milliardenmarkt mit neuen Mitteln oft immense Umsätze. Aber was bringen diese Arzneimittel den Patienten? Eine Studie kommt zu einem ernüchternden Ergebnis.

Neue Arzneimittel gegen Krebs und andere schwere Krankheiten bringen trotz hoher Zusatzkosten laut einer Studie oft nur wenig für die Patienten. Von 23 neuen Mitteln des Jahres 2013 seien 13 negativ zu bewerten, heißt es in einem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Innovationsreport im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK). Gegen verbreitete Volkskrankheiten wie Bluthochdruck oder Rückenschmerzen gibt es den Angaben zufolge gar keine neuen Medikamente.

„Der Anteil der nicht innovativen Arzneimittel überwiegt”, sagte der Studienautor Gerd Glaeske, Gesundheitsforscher der Universität Bremen. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, unterstrich, „dass der Großteil neuer Arzneimittel keine Innovationen sind”.

Der TK-Report bewertet die Mittel mit Ampelfarben. Nur eines der untersuchten Präparate erreichte die grüne Bestnote, 9 Mittel bewertete der Report mit „gelb”, 13 nur mit „rot”.

Qualität bei neuen Arzneimitteln gleich, Ausgaben verdoppeln sich

Überprüft wurden die Existenz vergleichbarer Mittel, der Mehrwert für die Patienten und der Preis. Bei 15 der neuen Mittel stehen den Patienten bereits andere Medikamente mit ähnlichem Wirkmechanismus zur Verfügung. In acht Fällen geben es keine Verbesserungen für die Patienten – oder sogar eine negative Nutzen-Schaden-Bewertung. Sechs Mittel seien teurer als bisher für die gleichen Krankheiten zugelassene Mittel.

Hatten die Neuheiten des Vorjahres noch im Schnitt 670 Euro pro Packung gekostet, waren es nun 1418 Euro. Obwohl die Bewertungen ähnlich ausgefallen seien wie im Vorjahr, gebe es doppelte Ausgaben. „Das ist erschreckend”, sagte TK-Chef Jens Baas.

Viele neue Krebsmedikamente

Trotz der schlechten Noten haben die Pharmahersteller laut der Untersuchung große Erfolge, die Mittel an die Patienten zu bringen. So bringt der negativ bewertete Multiple-Sklerose-Wirkstoff Teriflunomid Bruttoumsätze von bis zu 1,3 Millionen Euro pro Monat, das ebenso schlecht abschneidende Mittel Enzalutamid bei Prostatakrebs bis zu über 900.000 Euro pro Monat.

Die meisten neuen Mittel sind Krebsmedikamente. Die Therapiekosten liegen hier in der Regel bei mehreren zehntausend Euro pro Jahr. Bei Medikamenten gegen verbreitete Leiden wie Bluthochdruck, Rückenschmerzen oder Diabetes gebe es kaum Neuerungen, kritisierte die Wuppertaler Pharmakologin Petra Thürmann.

Der Arzneimittelverband vfa warf den Studienautoren unzulässige Pauschalisierung vor. „Welchen Wert ein Medikament in unterschiedlichen Behandlungssituationen hat, lässt sich nicht mit einem simplen Ampelschema vermitteln”, sagte Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. „Rot, Grün und Gelb gilt nämlich in der Therapie – anders als im Straßenverkehr – nicht für jeden Patienten in gleicher Weise.”

 

Wie nützlich sind die neuesten Arzneimittel?

Sie machen Hoffnung auf Linderung schwerer Krankheiten oder etwas längeres Überleben – neue Arzneimittel. Doch die Pharmakonzerne tun sich schwer mit grundlegenden Verbesserungen für die Patienten.

Sie bringen den Pharmakonzernen enorme Umsätze – doch der Nutzen für die Patienten ist oft zweifelhaft: neue Arzneimittel gegen Krebs und andere schwere Krankheiten. Ein Überblick:

Wie fällt die Bilanz bei neuen Arzneimittel aus?

Gemischt. Laut dem neuen Innovationsreport im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) kann von 23 neuen Mitteln des Jahres 2013 nur eines durchweg überzeugen. Es handelt sich um Pertuzumab gegen Brustkrebs. Neun Mittel erhalten eine mittlere Bewertung, sogar 13 eine negative.

Was für neue Mittel bringt die Industrie auf den Markt?

Vor allem Krebsmedikamente. „Sie sind extrem lukrativ”, erklärt der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig. Therapiekosten von mehreren zehntausend Euro pro Jahr sind die Regel. Der Aufwand ist aber vergleichsweise gering. Die nötigen Studien umfassen oft weniger als 1000 Patienten – im Vergleich zu 20.000 Patienten bei Mitteln gegen bestimmte Volkskrankheiten. Auch Mittel gegen HIV-AIDS oder Multiple Sklerose finden sich unter den Neuerungen.

Was bringen die neuen Mittel?

Bei den Krebsmedikamenten gehe es in der Regel darum, das Leben von Schwerkranken um Wochen oder Monate zu verlängern, so Ludwig. Der Pharmaverband vfa betont: Neue Mittel sind für manche Patienten oft sinnvoller Teil einer Kombinationstherapie – oder ein Reservemittel, wenn die erste Therapie ihre Wirksamkeit verloren hat. Klar ist: Es geht in aller Regel dagegen nicht um neue Heilungschancen. Auch bei anderen Mittel zählt, ob sie verträglicher sind, weniger Nebenwirkungen haben oder es Patienten damit ein wenig besser geht.

Welche Kosten bringen die neuen Mittel mit sich?

Für die Hersteller bringen neue Mittel – wenn es für sie gut läuft – oft hohe Umsätze von rund eine Million Euro pro Monat. Der Preis für neue Mittel pro Packung ist laut TK-Report von 670 Euro im Jahr 2012 auf 1400 Euro im Jahr 2013 in die Höhe geschnellt.

Wie geht es bei neuen Mitteln nach Marktzulassung weiter?

Zunächst werden die Mittel zu dem Preis verkauft, den die Pharmafirma festlegt. Dann folgt eine offizielle frühe Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken. Aufgrund dieser Bewertung verhandelt dann der Kassenverband mit dem Hersteller über den Erstattungspreis. Aber auch dann kann es immer noch unvorhergesehene Erkenntnisse geben: So kamen bei 4 der 23 neuen Mitteln nachträglich Warnungen vor möglicher Risiken hinzu. Drei Mittel wurden vom Markt zurückgezogen.

Gibt es neue Arzneimittel gegen Volkskrankheiten?

Wenig. Beispiel Gelenkarthrose: „Viele älteren Menschen können wir nur Medikamente verordnen, die ihren Magen ruinieren”, sagt die Pharmakologin Petra Thürmann. Neue Mittel wären für die Ärzte oder Patienten hier hochwillkommen. Auch gegen Bluthochdruck – damit haben Hausärzte am häufigsten zu tun – gebe es seit längerem nichts wirklich Neues. Bei Diabetes habe es zuletzt nur Mittel gegeben, die die Erwartungen nicht erfüllt hätten. Erst mit den Jahren zeige sich aber, dass Diabetesmedikamente, die seit rund sieben Jahren auf dem Markt sind, sich längerfristig als nützlich erweisen.

Wie schneiden die neuen Mittel der vergangenen fünf Jahre ab?

Seit dem Start der frühen Nutzenbewertung durch ein einschlägiges Gesetz namens AMNOG kamen 156 Mittel auf den Prüfstand – immerhin bei 56 Prozent erkannte der Gemeinsame Bundesausschuss Verbesserungen für die Patienten. „Aber es gibt wenig Patienten, die davon einen Nutzen haben”, sagt der Bremer Gesundheitsforscher Gerd Glaeske. Wirkliche Verbesserungen gebe es nämlich nur für rund 22 Prozent von insgesamt 46 Millionen Patienten, die von den Mitteln profitieren könnten. Grund ist, dass die Mittel oft nur für einzelne, vergleichsweise kleine Patientengruppen mehr bringen.

Von Basil Wegener (dpa)