Ventil der Seele: Was gegen eine nervöse Blase hilft

Ventil der Seele: Was gegen eine nervöse Blase hilft

Keiner mag sie, aber manchmal kommt man nicht drum herum sie zu benutzen: die öffentliche Toilette. Foto: Armin Weigel/ dpa-Report

Sie meldet sich in den unpassendsten Momenten – und Menschen mit Reizblase haben deshalb manchmal Angst, aus dem Haus zu gehen. Dabei lässt sich die nervöse Blase behandeln – mit speziellem Training, Entspannungstechniken oder Biofeedback.

Sich vor Angst in die Hose machen – so nennt es der Volksmund, wenn man schrecklich aufgeregt ist. Manche Menschen müssen tatsächlich ganz dringend auf die Toilette, wenn sie gleich ein Vorstellungsgespräch haben. Oder wenn gerade keine Toilette zur Verfügung steht. Die Blase reagiert nicht nur auf ihren Füllstand. Sie meldet sich auch, wenn der Mensch Stress hat, unter Druck steht, angespannt ist.

Eine Frage des Alters ist das nicht. Schon Kinder und Jugendliche haben mit diesem Problem zu kämpfen. Experten sprechen von einer nervösen Blase oder Reizblase. Bei ihrer Behandlung kommen zunehmend auch psychosomatische Ursachen in den Blick.

Annette Maleika, Chefärztin der Gynäkologie und Geburtshilfe am GRN Klinikum in Schwetzingen, berät in ihrer Blasensprechstunde Patienten mit Dranginkontinenz – das ist das Fachwort für eine überaktive Blase – und mit Belastungsinkontinenz, die eher durch einen schwachen Beckenboden bedingt ist. Nicht selten verbergen sich hinter den Beschwerden ihrer Patienten seelische Ursachen wie Überlastung, Angst, depressive Verstimmungen, Stress oder Anspannung.

Aber was hat die Blase mit der Psyche zu tun? Beide reagieren aufeinander, weil die Blase vom vegetativen Nervensystem und Zentren im Gehirn gesteuert wird. Von dort aus werden über Nervenbahnen und Neurotransmitter Signale an den Blasenmuskel und Beckenboden gesendet. Nervosität, Ängste, Stress und Überlastung können so dazu führen, dass der Mensch Urin verliert oder ständig den Drang verspürt, auf die Toilette zu gehen. Die Seele wählt, wie Maleika es ausdrückt, die Blase als Ventil.

„Die Blase ist ein schulbares Organ”

Umgekehrt sind die Blasenprobleme selbst psychisch belastend für die Betroffenen. Viele schämen sich. Die gute Nachricht lautet aber: Sie müssen sich nicht damit abfinden. „Unsere Blase ist ein schulbares Organ“, erklärt Maleika. Ein Verhaltenstraining und ein Ernährungscheck können als erste Interventionen schon Besserung bringen.

Bei einem Blasentraining wird Tagebuch über Toilettengänge und Trinkmenge geführt. Ärzte raten, die Abstände zwischen den Toilettengängen immer ein bisschen weiter zu vergrößern. Schon eine Viertelstunde hilft, die Blase zu stärken. Nach rund vier Wochen sollten sich messbare Erfolge zeigen. Auch an der eigenen Ernährung lässt sich meist schrauben. Vor allem Kaffee reizt die Blase, erklärt Maleika. Zitrusfrüchte dagegen stärken sie.

Da es einen Blasenmeridian an den Füßen gibt, ist die Blase zudem empfänglich für Wärme an den Füßen, sagt Maleika. Frauen sollten auch ihren Östrogenspiegel im Blick behalten: Das Hormon stabilisiert die Blasenfunktion. Wer dafür offen ist, kann zusätzlich homöopathische Medikamente einnehmen.

Erzielen Patienten mit alldem noch nicht den gewünschten Erfolg, verordnen Mediziner in einem nächsten Schritt sogenannte Parasympatholytika. Sie hemmen oder aktivieren über das parasympathische Nervensystem die Blasenfunktion. Auch Antidepressiva kommen zum Einsatz: Die Gabe von Serotonin hilft nicht nur bei Depressionen, der Botenstoff stärkt auch die Blasenfunktion.

Biofeedback oder autogenes Training können helfen

Die Urologin Prof. Daniela Schultz-Lampel, Direktorin am Kontinenzzentrum Südwest in Villingen-Schwenningen, berichtet von positiven Erfahrungen mit einer Botox-Injektion in den Blasenmuskel: „Die Botox-Injektion ist eine sehr nebenwirkungsarme Behandlung, die von der Kasse gezahlt wird und zu schnellen Erfolgen führt – allerdings nach etwa sechs Monaten wiederholt werden muss.“

Schultz-Lampel betont: „Verlorene Lebensqualität durch eine nervöse Blase lässt sich in jedem Fall wiedererlangen.“ Die Medizinerin hat bereits Patienten behandelt, die gar nicht mehr verreist sind, nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fuhren und in ihrem Beruf, beispielsweise als Kassiererin, Qualen litten, weil sie nicht alle zehn Minuten zur Toilette gehen konnten. Annette Maleika wiederum kennt Patienten, die sich wegen des ständigen Harndrangs nicht mehr trauten, einkaufen zu gehen.

Prof. Ralf Tunn, Chefarzt der Klinik für Urogynäkologie am Alexianer St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin, hilft Menschen mit überaktiver Blase durch ein Beckenbodentraining. Er überprüft zunächst durch Tasten oder mittels Ultraschall, ob ein Patient seinen Beckenboden anspannen kann. Gelingt dies nicht, aktiviert Tunn per Elektrostimulation die Wahrnehmung des Beckenbodens.

Kann der Patient schließlich den Beckenboden anspannen, übt er, die Blasenfunktion wieder selbst zu koordinieren. Dafür eignen sich zum einen gymnastische Übungen. Auch modernes Biofeedbacktraining kommt zum Einsatz. Bei dieser Technik aus der Verhaltenstherapie lernt der Patient, seine Anspannung und Verkrampfung gezielt wahrzunehmen und bei Stress wieder loszulassen.

Um eben dieses Loslassen und einen besseren Umgang mit stressigen Situationen zu trainieren, sind auch Entspannungstechniken wie Autogenes Training sinnvoll.

Von Stefanie Maeck (dpa)