Verborgene Gewalt

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In Deutschland sind Frauen mit Behinderung überproportional häufig von Gewalt betroffen. Beratungsstellen sind darauf oft nicht vorbereitet.

Plötzlich stand der Mann hinter ihr. Es war mitten am Tag. Er versetzte ihr einen Stoß, riss ihr die Tasche vom Arm und rannte weg. “Das Ganze ging so schnell”, erzählt Monika Zimmer*: “Zum Reagieren blieb gar keine Zeit.” Und selbst wenn, die Frau hätte sich gar nicht wehren können. Zimmer leidet unter fortgeschrittenem Parkinson. Mittlerweile kann sie sich nur noch eingeschränkt bewegen. Seitdem man ihr die Krankheit ansieht, ist Zimmer bereits drei Mal überfallen worden.

Frauen mit Behinderung sind überproportional von Gewalt betroffen

So wie ihr ginge es vielen Frauen mit Behinderungen, bestätigt Katharina Göpner von Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff). Aufgrund ihrer körperlichen oder auch geistigen Einschränkung werden sie oft als leichte Opfer angesehen, gerade bei Raubüberfällen oder sexuellen Übergriffen. Viele der Frauen, die wie Zimmer alleine leben, fühlten sich daher oft unsicher auf der Straße, besonders abends.

Im Jahr 2012 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eine erste repräsentative Studie zur “Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland” vorgelegt. Auch sie zeigt: Zimmers Geschichte ist keine Ausnahme.

Die Studie

Die Studie “Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland” wurde im Auftrag des BMFSFJ durchgeführt. Befragt wurden über 1.500 Frauen im Alter von 16 bis 65 Jahren, die in Privathaushalten und Einrichtungen der Behindertenhilfe leben.

Laut der Untersuchung sind Frauen mit Behinderung etwa doppelt so häufig von körperlicher oder psychischer Gewalt betroffen wie der Bevölkerungsdurchschnitt. Sexuelle Übergriffe kommen bei ihnen sogar zwei bis drei Mal öfter vor.

“Solche Vorfälle gibt es auch in Einrichtungen der Behindertenhilfe”, berichtet Göpner. Jahrelang wurden diese Räume als geschützte Orte definiert, in denen Gewalt nicht vorkommt. Die Studie des Bundesfrauenministeriums zeigt jedoch, dass auch hier ein erhebliches Dunkelfeld der Gewalt existiert.

Gerade in Wohneinrichtungen ist die Privatsphäre eng gesteckt. “Oft haben die Frauen nicht mal ein eigenes Zimmer”, erzählt Göpner. Türen dürften nur selten abgeschlossen werden. Kommt es dann zu physischer oder psychischer Gewalt, egal ob durch einen Mitbewohner oder Personal, sei es für viele schwierig, außerhalb des betreuten Wohnumfeldes Hilfe zu bekommen. Frauen mit Lernschwierigkeiten oder psychischen Erkrankungen seien dabei besonders oft sexueller und körperlicher Gewalt ausgesetzt.

Fehlende Beratungsstellen

Trotz des Bedarfs gibt es kaum Unterstützungsangebote. Einem 2012 erschienenen Bericht der Bundesregierung zufolge gibt lediglich ein Viertel der Fachberatungsstellen an, eine geeignete Anlaufstelle für Frauen mit Behinderung zu sein.

“An dieser Situation hat sich in den letzten Jahren noch immer zu wenig geändert”, sagt Göpner. Der bff ist deshalb dabei, bereits bestehende Hilfsangebote und Anlaufstellen, vor allem Fachberatungsstellen und Frauenhäuser sowie Behindertenhilfe und -selbsthilfe, besser miteinander zu vernetzen und Öffentlichkeit wie Betroffene für das Thema zu sensibilisieren. Dafür gibt es seit Anfang 2014 das Projekt Suse – sicher und selbstbestimmt. Für das Jahr 2015 ist eine erste große Kampagne geplant.

Der Landesfrauenrat Mecklenburg-Vorpommern e. V. ist bereits aktiv geworden. Im November 2014 hat er eine Online-Petition gestartet. Die Forderung: Ein bedarfsgerechter Zugang zum Beratungs- und Hilfenetz für alle.

Egal, ob zu Hause, auf der Straße oder im betreuten Wohnen, fordert Göpner: “Gewalterfahrungen dürfen bei niemandem zur Normalität werden.”

*Der Name ist von der Redaktion geändert.