Eine Sperma-Allergie ist kein schlechter Scherz. Sie ist selten, aber nicht ganz ungefährlich. Für Betroffene gibt es Hilfe – wenn sie sich trauen, über ihr Problem zu reden.
Sie ist kein Mythos, kein blöder Witz und auch keine Ausrede. Eine Sperma-Allergie gibt es wirklich. „Leider“, sagt der Hautarzt und Allergologe Johannes Ring. „Auch wenn das erstmal exotisch klingt, Betroffene finden das überhaupt nicht lustig.“ Ring hat am Universitätsklinikum der Technischen Universität München zu den Hintergründen der seltenen Allergie geforscht und Patienten behandelt. Das waren allein Frauen – doch auch Männer kann es treffen.
Es juckt. Ausgerechnet beim Sex. Beim Kontakt von Samenflüssigkeit mit der Haut kann es bei einer Sperma-Allergie zu Schwellungen und Rötungen, Quaddel-Bildung und Ausschlag am ganzen Körper kommen. Ist sie stärker ausgeprägt, bleibt es nicht dabei. Patienten wird übel, sie bekommen Durchfall oder müssen sich erbrechen.
Den Sexualpartner zu wechseln hilft nicht
Im schlimmsten Fall könne die Allergie, wie etwa Bienen- oder Wespenallergien, lebensgefährlich werden, berichtet Ring. Denn auch beim Hautkontakt mit Sperma können die Atemwege zuschwellen – und das Herz-Kreislauf-System reagiert. So kommt es zu Atemnot bis hin zur Ohnmacht. Im extremen Fall kann ein tödlicher anaphylaktischer Schock eintreten. „Im Grunde sind das relativ typische allergische Symptome“, sagt Spezialist Ring. Frauenärzte sollten aber wissen, dass es diese besondere Form der Allergie gibt.
Bei einer Sperma-Allergie reagieren Betroffene nicht auf das Sperma selbst, sondern allein auf die Flüssigkeit, die Spermien enthält – das sogenannte Seminalplasma. Das Immunsystem des Körpers verhält sich im Prinzip wie bei Heuschnupfen. Es wertet einen bestimmten, im Grunde harmlosen Stoff als Krankheitserreger – und löst eine heftige Abwehrreaktion aus.
Bei Heuschnupfen sind bestimmte Eiweiße von Blütenpollen Ursache für die Überreaktion. Bei der Sperma-Allergie war der Auslöser lange unbekannt. Ring und seinen Kollegen gelang es vor einigen Jahren, ihn zu bestimmen: Es ist ein Eiweiß, das sogenannte Prostataspezifische Antigen (PSA). Das Protein wird in der Prostata produziert und findet sich im Sperma jedes Mannes. Deswegen hilft Betroffenen auch kein anderer Sexualpartner. „Die Allergie ist nicht partnerspezifisch“, sagt Ring.
Experten vermuten eine hohe Dunkelziffer
Sie ist allerdings eine sehr seltene Reaktion des Immunsystems. Weltweit sind nur rund 100 Fälle dieser Allergie in der Literatur beschrieben. „Daten aus den USA gehen von rund 20.000 bis 40.000 Betroffenen aus“, sagt der Allergologe und Androloge Jean-Pierre Allam. Seine Kollegen und er erforschen am Universitätsklinikum Bonn vor allem Zusammenhänge der Sperma-Allergie mit anderen Allergien. Sobald sie die Symptome einer Allergie zugeordnet haben, kann ein Test mit Sperma oder isoliertem PSA Klarheit schaffen. So lassen sich auch Nahrungsmittelallergien ausschließen.
„Bei rund der Hälfte der Patienten sind auch andere Allergien bekannt“, berichtet Allam. Insgesamt gäbe es eine sehr hohe Dunkelziffer, weil es Betroffenen unangenehm sei, über ihr Problem zu sprechen. „Seit 2005 mehren sich aber Berichte“, sagt der Mediziner.
1958 hatte ein Niederländer die Sperma-Allergie zum ersten Mal beschrieben. 44 Jahre später analysierten zwei seiner Landsleute bei Männern das sogenannte Post Orgasmic Illness Syndrome, Krankheitssymptome nach einem Orgasmus. „Bei Männern löst Sperma sehr unspezifische Symptome aus, die nicht richtig zu einer Allergie passen“, erläutert Allam die verschiedenen Bezeichnungen. Die Betroffenen litten nach dem Orgasmus unter Kopfschmerzen und grippeähnlichen Anzeichen, die zwei bis sieben Tage anhalten könnten. Aber sie reagieren positiv auf einen Allergietest mit Sperma. „Der Zusammenhang ist aber noch völlig unerforscht.“
Betroffene Frauen können trotzdem Kinder kriegen
Immerhin ließe sich die Sperma-Allergie gut behandeln, erläutert Allam. „Goldstandard ist Geschlechtsverkehr mit Kondom“, ergänzt er. Patienten blieben durch diesen Schutz beschwerdefrei. Nur wenn sich Frauen Kinder wünschten, werde es kompliziert. Sowohl Ring als auch Allam betonen, dass Frauen mit Sperma-Allergie keinesfalls unfruchtbar seien. Bei leichten Symptomen könnten sie vor dem Sex allergieunterdrückende Medikamente einnehmen. Eine andere Möglichkeit sei eine Hyposensibilisierung, bei der der Körper gegenüber dem Allergen eine Toleranz entwickeln soll.
Doch auch eine künstliche Befruchtung mit gewaschenen Spermien wäre eine Option. „Das funktioniert bei gesunden Frauen sehr gut“, sagt Allam. Allerdings übernimmt die Krankenkasse die Kosten der Behandlung nicht. „Insgesamt ist bei der Sperma-Allergie noch viel Forschungsarbeit nötig“, bilanziert Forscher Ring. Und auch Androloge Allam findet: „Sperma-Allergie ist noch ein ziemlich ungenauer Begriff.“
Von Helena Wittlich (dpa)