Warum der Kampf gegen Klinik-Risiken hart ist

Warum der Kampf gegen Klinik-Risiken hart ist

© dpa

Dauerschäden und Todesfälle – wegen Stress, mangelnder Absprachen und wenig Erfahrung mit einzelnen Krankheiten bringen Krankenhäuser ihre Patienten oft in unnötige Gefahr. Das zu ändern, fällt der Politik schwer.

Die alte Dame kam als Notfall ins Krankenhaus. Ihr musste mit einem Schlauch Sauerstoff zugeführt werden, gleichzeitig mussten Atemwegsekrete entfernt werden. Doch trotz der dramatischen Lage lief die Hilfe nur schleppend an. „Zwei hauseigene Absauger nicht einsatzfähig“, heißt es im anonymen Fehlerbericht eines Arztes. Die Folge: schwere Dauerschäden der Patientin.

Wie in diesem Fall gibt es zehntausendfach Probleme bei der Behandlung in deutschen Krankenhäusern. Warum tun sie sich oft schwer, optimale Bedingungen zu schaffen und Risiken für die Patienten zu minimieren?

Stichwort Mindestmengen

Im Fall der Notfallpatientin lag das Problem wohl in der Wartung der Geräte und in unklaren Absprachen im Krankenhaus darüber, wer für was zuständig ist. Nach Schätzungen sterben jedes Jahr tausende Patienten wegen Fehlern und Problemen bei Behandlungen. Zuviel Stress, zu wenig Personal – in der Organisation liegen meist die Hauptursachen.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ist angetreten, die Qualität der Kliniken zu verbessern und Risiken zu verkleinern. So hat er Krankenhäuser und Krankenkassen verpflichtet, überall dort eine Mindestzahl an Pflegern bereitzustellen, wo es für die Patienten besonders wichtig ist – etwa auf Intensivstationen oder im Nachtdienst. Es gelte, einer „Abwärtsspirale“ vorzubeugen, sagte er am Donnerstag in Berlin bei einer hochkarätigen AOK-Veranstaltung. Wenn sich bis Sommer 2018 nichts tut, will Gröhe die Kliniken zu entsprechender Personalausstattung verpflichten.

Doch die Probleme reichen tiefer. Stichwort Mindestmengen: Kaum jemand bestreitet, dass es etwa für eine Patientin mit Brustkrebs schlecht ist, wenn sie in eine Klinik kommt, die kaum Brustkrebsfälle hat. Mindestmengen sind Untergrenzen von Behandlungsfällen, ab denen Kliniken bestimmte Dinge durchführen sollen. Aber: Jedes vierte Krankenhaus, das Brustkrebs operiert, tut das in weniger als acht Fällen pro Jahr. „Da treibt es einem manchmal die Tränen in die Augen“, sagt AOK-Chef Martin Litsch. Das OP-Team habe dann einfach viel zu wenig Erfahrung, einen optimalen Ablauf des Eingriffs sicherzustellen.

Die Politik hat das Problem längst erkannt – und erste Vorgaben für solche Mindestmengen gemacht. Derzeit gibt es für sieben Krankheitsbereiche gesetzliche Regeln, welche Zahl von Fällen eine Klinik mindestens absolviert haben soll, darunter Nierentransplantationen, Knieprothesen-OPs und die Versorgung von Frühchen. „Doch die Mindestmengen werden oft nicht erfüllt“, sagt der Klinikexperte Marcel Weigand, Projektmanager der „Weissen Liste“, eines Portals mit Infos zur Klinikqualität unter dem Dach der Bertelsmann-Stiftung.

Krankenhäuser fordern mehr Flexibilität

Etwas Neues im Gesundheitswesen einzuführen, Reformen auf den Weg zu bringen, ist zäh. Da gibt es den Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen. Er sollte Maßstäbe für gute Klinik-Arbeit festlegen. Wenn Krankenhausabteilungen die Latte reißen, sollten sie geschlossen werden – so die Idee hinter der jüngsten Klinikreform Gröhes.

Doch zuerst scheute sich der Bundesausschuss, glasklare Kriterien für die Kliniken zu bestimmen. Und dann kam Widerstand aus den Ländern, etwa Bayern. Sie haben die Planungshoheit über die Krankenhäuser – und von Schließungen aufgrund von irgendwelchen Vorgaben aus Berlin wollten sie nichts wissen. Das Nachsehen – so sehen es Experten wie Weigand, aber auch die Krankenkassen – haben die Patienten.

Die Kassen pochen auf verbindliche Vorgaben – schließlich bekommen die Kliniken jedes Jahr steigende Milliardensummen. Auch Gröhes Reform bringt einen kräftigen Kostenschub. Die Ausgaben der gesetzlichen Kassen für Klinikbehandlungen stiegen von 70,3 Milliarden Euro 2015 auf 73 Milliarden 2016. Eine interne Prognose des Kassenspitzenverbands lässt aufhorchen: In diesem Jahr sollen es 75,8 Milliarden Euro sein.

Und die Krankenhäuser? Sie fahren eine Doppelstrategie. Mindestmengen weiterzuentwickeln, „wo sie sinnvoll sind“, stehe außer Frage, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum. Aber Flexibilitätskorridore solle es auch geben. „Die Logik, bei 50 Operationen darf man, bei 49 nicht, ist nicht nachvollziehbar.“ Die Patienten müssten schließlich auch in der Fläche, wo es nicht viele Krankenhäuser gibt, versorgt werden.

Von Basil Wegener (dpa)