Was das Faszientraining kann

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Das faserige Bindegewebe, die Faszien, rücken in der Fitnessszene immer mehr in den Blickpunkt. Das Faszientraining soll Schmerzen lindern und die Leistung steigern. Kritiker warnen aber vor zu hohen Erwartungen.

Wenn Werner Klingler Vorträge über Faszien, also das faserige Bindegewebe des Körpers, hält, zeigt er gerne ein Video über die Arbeiterinnen der Luo- und Kikuyu-Stämme. Die Ostafrikanerinnen sind dabei zu sehen, wie sie Lasten auf dem Kopf tragen, die laut Klingler bis zu 70 Prozent ihres eigenen Körpergewichts wiegen. „Untersuchungen haben herausgefunden, dass sie das ohne großen zusätzlichen Kraftaufwand tun“, sagt der Facharzt für Anästhesie und Physiologie an der Neurochirurgischen Universitätsklinik Ulm-Günzburg. Das und der auffallend schwingende Gang der Afrikanerinnen habe viel mit der großen Rückenfaszie zu tun.

„Faszien haben intelligente mechanische Funktionen“, sagt Klingler. „Sie fungieren als Regulator der Kraftübertragung und als elastische Energiespeicher.“ Das Faszientraining, um das es zuletzt einen regelrechten Hype gab, will das nutzen – und das machen unbewusst auch die Frauen der Luo und Kikuyu. Ihre gut ausgebildete Rückenfaszie nehme die Energie aus dem Schwungbein auf, übertrage sie auf die Wirbelsäule und schließlich die Schultern und Arme, sagt Klingler. Sie wirke also wie ein elastisches Federelement.

Training mit der „Blackroll“

Das Bindegewebe umschließt nicht nur alle Muskeln, sondern auch Organe oder Gelenke und durchdringt den ganzen Körper wie ein Netzwerk. Es braucht aber Bewegung, um gesund zu bleiben. Ohne sie geht seine Stärke, Elastizität und Gleitfähigkeit zurück. Dann kann es zu Verklebungen oder Verwachsungen kommen, Schmerzen und Verletzungen können die Folge sein. Wer sich bewegt, tut also etwas für das Bindegewebe, meint die Forschung. Und damit für die Gesundheit.

Hier setzt das Faszientraining an, das auf den vier Prinzipien Hüpfen, Dehnen, Körperwahrnehmung und dem Lösen mit Hilfe der auch als Blackroll bekannten Faszienrolle beruht, wie Sybille Hofbauer, zertifizierte Faszientrainerin aus dem schwäbischen Frickenhausen, erklärt. Das Training diene einerseits einem Wohlgefühl im eigenen Körper, Sportler könnten es aber auch einsetzen, um ihre Leistung zu steigern oder Verletzungen vorzubeugen. Zudem helfe es bei Schmerzen im Bewegungsapparat, dem sogenannten myofaszialen Schmerzsyndrom.

Besonders durch die Faszienrolle, eine Schaumstoffrolle mit verschiedenen Härtegraden, ist das Training bekanntgeworden. Durch das Rollen über die Faszien des Körpers würden sich oberflächliche Verklebungen lösen und die vielen Sensoren im Bindegewebe aktiviert, sagt Hofbauer. „Nach dem Rollen habe ich einen Sofort-Effekt. Die Leute spüren direkt, dass sie beweglicher werden.“ Häufig sei die Anwendung am Anfang schmerzhaft, das ändere sich jedoch bald.

Die Körperwahrnehmung verbessern

Die Dehnübungen unterscheiden sich laut Hofbauer vom klassischen Stretching dadurch, dass man mit dem Körper leicht federt. „Man dehnt nicht isoliert einzelne Muskeln, sondern lange Muskel-Faszien-Schlingen“, sagt sie. Dabei mache man in einer gedehnten Position vorsichtig kleine federnde Bewegungen, um auch die sehnigen Strukturen des Körpers zu erreichen.

Die Steigerung der Leistungsfähigkeit durch das Faszientraining braucht aber längere Zeit. Das liege daran, dass der Stoffwechsel in den Faszien wesentlich langsamer verlaufe als in der Muskulatur, erläutert Klingler. Daher könne es im Unterschied zum reinen Muskeltraining ein halbes Jahr dauern, bis ein Effekt zu spüren sei.

Außerdem wollen Faszientrainer wie Hofbauer, die von der Fascial Fitness Association in Augsburg zertifiziert ist, die Körperwahrnehmung verbessern, um Schmerzen zu lindern. Mit langsamen, spürenden Bewegungen sollen „blinde Flecken“ im Körper ausgekundschaftet und das Schmerzempfinden damit reduziert werden. Studien hätten gezeigt, dass Menschen mit chronischen Rückenschmerzen häufig eine schlechte Propriozeption, also ein schwaches Gespür für Bewegungen, hätten.

Weder Jungbrunnen noch Wundermittel

Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln ist zwar ein Freund des Faszientrainings. Ihn stört aber, dass damit häufig nur ein Bereich des Organismus betont wird. „Das kann nicht funktionieren.“ Er plädiert dafür, Faszienübungen in andere Programme einzubauen – das machen viele Sportler auch. „Es ist gut als ergänzende Maßnahme, wenn es professionell begleitet wird.“

Mit Blick auf die Rolle mahnt er, nicht alle Gelenkschmerzen oder Verspannungen hätten ihre Ursache in verklebtem Bindegewebe. Daher sei es sinnvoll, zunächst einen Arzt aufzusuchen, um Verletzungen oder einen orthopädischen Schaden auszuschließen.

Auch kritisiert er die Auffassung, Faszientraining könne eine Art Jungbrunnen und ein Wundermittel gegen Cellulite sein. Übungen mit der „Blackroll“ könnten allerdings die Wachstumsrichtung und die Stabilität der Fasern sowie die Versorgung der Zellen mit Nährstoffen verbessern. Begleitet von einem Muskeltraining könne man die Cellulite zumindest etwas vermindern.

Die Kombi macht’s

Von einem Wundermittel spricht Klingler ebenfalls nicht. So hätten etwa die Luo- und Kikuyu-Frauen auch starke Rückenmuskeln, erklärt er. „Es geht immer einher, Faszien und Muskeln bilden eine Einheit.“ Hofbauer kombiniert die Übungen daher gerne mit Pilates. „Das Faszientraining möchte kein anderes Trainingsprinzip verdrängen. Es ist einfach ein ergänzender Baustein.“

Von Matthias Jung (dpa)