Stufen, fehlende Untertitel, keine Gebärdensprache: Menschen mit Behinderung stoßen tagtäglich auf unüberwindbare Barrieren. Der Gesetzgeber nimmt nun die Behörden in die Pflicht. Doch in vielen anderen Bereichen tut sich wenig.
Rollstuhlfahrer stoßen in Deutschland ständig auf Treppen und Schwellen, Hörgeschädigte auf Fernsehsendungen ohne Untertitel und Sehbehinderte auf fehlende Blindenschrift. Ein neues Gesetz mit Verbesserungen passierte am Mittwoch das Kabinett. Es soll nur ein erster Schritt sein – ein Überblick.
Wieviele Menschen sind betroffen?
Mehr als zehn Prozent der Bevölkerung sind schwerbehindert – 7,5 Millionen. Sozialverbände schätzen, dass deutlich mehr als jeder Dritte wegen dauerhafter Handicaps oder vorübergehender Einschränkungen eigentlich eine Umwelt ohne Barrieren bräuchte.
Was ist jetzt geplant?
Das Behindertengleichstellungsgesetz von 2002 verpflichtet Behörden bereits zu Behindertengerechtigkeit. Nun soll es ausgebaut werden. Am spürbarsten dürfte werden, dass die Menschen ab 2018 einen Anspruch auf Behörden-Infos in einer speziellen schnörkellosen Ausdrucksweise bekommen sollen. Menschen mit geistigen Behinderungen sollen etwa von Arbeitsagenturen oder der Rentenversicherung Bescheide und Vordrucke in so genannter Leichter Sprache erläutert bekommen.
Was sieht das Gesetz noch vor?
Eine zentrale Schlichtungsstelle – sehen sich Behinderte in ihren Rechten verletzt, sollen sie hier rasche Hilfe bekommen. Eine weitere zentrale Einrichtung soll Behörden und Firmen bei behindertengerechter Umrüstung beraten.
Was fehlt dem Gesetz?
Weitere verbindliche Fristen für Bundesbehörden – und generell Vorgaben für Ämter von Ländern und Kommunen sowie die private Wirtschaft. Ob im Wohnungsbau, bei Straßen und Bürgersteigen, bei Bahnen, Taxis, Gaststätten, Hotels oder dem Handel – hier liegt laut Sozialverbänden viel im Argen.
Welche Erfahrungen machen zum Beispiel Rollstuhlfahrer?
„In Saarbrücken war Schluss“, erzählt der Betroffene und Experte Volker Sieger. Auf der Rückfahrt von Paris nach Kaiserslautern habe er bereits hier aussteigen müssen, weil der Bahnhof an seinem eigentlichen Ziel nicht barrierefrei ist – und hier abends Bahnpersonal zur Hilfestellung fehlt. Als Autofahrer fehle Menschen im Rollstuhl zudem oft Platz zum Aussteigen.
Wo stoßen Behinderte auf besonders viele Hürden?
Von den rund 5400 Bahnhöfen sind laut Sozialverband VdK nur die Hälfte barrierefrei. Fast vier von fünf Allgemeinarztpraxen seien nicht ebenerdig zugänglich. 96 Prozent der Sendungen im Privatfernsehen seien nicht untertitelt. Im Internet fehlt es vielen Portalen an Hilfen für Sehbehinderte. Es fehlen laut VdK rund zwei Millionen altersgerechte Wohnungen.
Was fordern Sozialverbände?
Klare Vorgaben für eine barrierefreie Umgebung – und mehr Fördermöglichkeiten. So müsse der Umbau von Geschäften, Friseursalons oder Gaststätten mit einem KfW-Förderprogramm von 200 Millionen Euro gefördert werden, verlangt der VdK.
Wie steht Deutschland in internationalem Licht da?
Die Vereinten Nationen haben Deutschland vor einem Jahr zu Verbesserungen ermahnt. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist an vielen Stellen nicht umgesetzt – etwa beim gemeinsamen Lernen von Behinderten und Nicht-Behinderten in den Schulen.
Was plant die Regierung noch?
Ein Bundesteilhabegesetz – es soll über den Abbau von Barrieren deutlich hinausgehen und Schritte zur stärkeren Integration von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt und dem gesellschaftlichen Leben insgesamt aufzeigen. Bereits im vergangenen Jahr wollte Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) Eckpunkte vorlegen. Nicht zuletzt wegen des Flüchtlingszustroms habe es etwas länger gedauert, meint sie nun. „Wir haben es vorangetrieben“, versichert sie aber. Im Frühling wolle sie die Großreform auf den Weg bringen.
Von Basil Wegener (dpa)