Wenn Ängste zum Gefängnis werden

Laura Tonke als Hedi Schneider und Hans Löw als Uli in einer Szene des Kinofilms „Hedi Schneider steckt fest“. In dem Film erzählt Autorenfilmerin Sonja Heiss von Panikattacken, die sie am eigenen Leib erfuhr.

Laura Tonke als Hedi Schneider und Hans Löw als Uli in einer Szene des Kinofilms „Hedi Schneider steckt fest“. In dem Film erzählt Autorenfilmerin Sonja Heiss von Panikattacken, die sie am eigenen Leib erfuhr. © Komplizen Film/Pandora Film/dpa

Ein Blick auf die Uhr genügt, um den Sorgenkreislauf in Gang zu bringen: Müsste der Partner nicht längst zurück sein? Hatte er einen Unfall? Ist er schwer verletzt? Menschen mit generalisierter Angststörung leben in ständiger Sorge um sich und andere.

Jennifer Bauer ist alleine im Ausland unterwegs, als sie plötzlich Zahnschmerzen bekommt. Sie ist hilflos. Ihre Gedanken rasen, die Angst um ihre Gesundheit wird übermächtig: „Ich war irgendwann überzeugt, mein Zahn wird ausfallen.“ Sie sei immer schon ängstlich gewesen, sagt die 31-Jährige heute. Dieses Erlebnis sieht sie jedoch rückblickend als Beginn ihrer Erkrankung.

Die generalisierte Angststörung gehört neben den Phobien zu den häufigsten Angsterkrankungen. Etwa fünf Prozent der Bevölkerung haben einmal in ihrem Leben generalisierte Ängste. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Anders als bei einer Panikattacke, sind bei der generalisierten Angststörung Ängste und Sorgen allgegenwärtig. „Betroffene sorgen sich meist um Verwandte oder nahestehende Personen. Sie haben Angst, diesen könnte etwas zustoßen, zum Beispiel ein Autounfall. Die statistische Häufigkeit solcher Ereignisse wird dabei stark überschätzt“, erklärt Professor Borwin Bandelow, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen.

Wer keine Pause hat, hat auch keine Zeit zum Grübeln

Aber auch Angst um die eigene Gesundheit, wie im Fall von Jennifer Bauer, kann Teil der sogenannten Sorgenkreisläufe sein. In einen solchen hineingesteigert, erleben die Betroffenen auch körperliche Symptome wie Schwitzen, Zittern oder Herzrasen. Generalisierte Ängste treten meist im jungen Erwachsenenalter auf. „Um das 30. Lebensjahr werden die Verantwortlichkeiten umfassender – Heirat, Kinder, Beruf. Vor allem verantwortungsbewusste Menschen mit Selbstzweifeln glauben dann, sie könnten diesen Anforderungen nicht mehr gerecht werden und reagieren mit Sorgen und Ängsten“, erklärt Professor Wolfgang Maier, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn.

Ängste oder Sorgen sind bis zu einem bestimmten Maß normal. „Wenn Ängste jedoch den Alltag beeinflussen und jemand beispielsweise einen anderen Weg zur Arbeit nimmt, um damit einen potenziell gefährlicheren Weg zu vermeiden, dann sind Ängste krankhaft“, so Bandelow. Das belastet dann nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch die Angehörigen: „Betroffene greifen häufiger zum Telefon, um sicher zu gehen, dass es ihren Angehörigen gut geht. Viele fühlen sich dadurch kotrolliert oder sind genervt“, sagt Professorin Katja Beesdo-Baum von der Technischen Universität Dresden. Die Beziehungen zu nahestehenden Menschen werden damit stark strapaziert. Dabei sind gerade diese für die Betroffenen so wichtig und geben ihnen Halt.

Mit einer Verhaltenstherapie Ängste überwinden

Das aktive Durchplanen des Alltags ist für viele Betroffene ein wirksames, wenn auch erschöpfendes Mittel gegen die Sorgen. Denn: Wer keine Pause hat, hat auch keine Zeit zum Grübeln. „Es gibt sogar solche, die sich innerlich Gedichte aufsagen, um an nichts anderes denken zu können“, erklärt Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin Beesdo-Baum.

Auch für Jennifer Bauer ist es beunruhigend mal nichts vorzuhaben. In ihrer Freizeit telefoniert sie daher häufig. Als sie vor drei Jahren ihren Job verliert, ist sie ihren Ängsten den ganzen Tag ausgeliefert. Kurze Zeit später begibt sie sich in stationäre Behandlung. „Die Zeit zwischen Jobverlust und Klinikaufenthalt war die schlimmste meines Lebens“, sagt die junge Frau heute.

Die Ursachen für eine generalisierte Angststörung können vielfältig und individuell unterschiedlich sein. Häufig tritt eine Angststörung zusammen mit Depressionen auf. Ist die generalisierte Angststörung jedoch die primäre Erkrankung, entwickelt sich diese meist auf Grundlage einer unsicheren und ängstlichen Persönlichkeit, erläutert Maier. Das Aufwachsen mit überbeschützenden Eltern spiele ebenfalls eine Rolle, so Beesdo-Baum: „Den Kindern wird die Erfahrung genommen, dass sie auch alleine mit Herausforderungen zurechtkommen können.“ Zudem gibt es eine Reihe von neurobiologischen Einflussfaktoren: „Wir wissen, dass das Serotonin-System geschwächt ist.“ Medikamente die das Serotonin beeinflussen, wirkten gut gegen Ängste, so Bandelow.

Die Krankheit nicht verdrängen

Grundsätzlich lassen sich Angststörungen gut behandeln. Maier betont jedoch: „Viele Betroffene erleben die Angst nicht als Krankheit, sondern als reales Problem.“ Als Therapeut müsse man daher bei den erlebten Einschränkungen ansetzten und sagen: „Du lieferst dich der Angst aus, du machst dich handlungsunfähig. Dagegen kann man etwas tun.“ Die Verhaltenstherapie ist dann erste Wahl. „In einer von uns durchgeführten Follow-Up Studie hat sich gezeigt, dass auch zehn Jahre nach einer Verhaltenstherapie die Rückfallquote gering ist“, so Beesdo-Baum. In der Verhaltenstherapie lernen Betroffene Strategien, um mit ihren Ängsten umzugehen. Diese Effekte hielten bei den meisten auch über die Therapie hinaus an.

Jennifer Bauer begibt sich nach ihrem Klinikaufenthalt in psychotherapeutische Behandlung und besucht mehrere Selbsthilfegruppen. Es dauert, bis sie eine Gruppe findet, in der sie sich wohl fühlt. Die Atmosphäre bei den vorherigen Treffen empfindet sie als zu traurig. Noch immer hat sie Schwierigkeiten ihre Angststörung anzunehmen und offen über ihre Ängste zu sprechen. Sie fühlt sich minderwertig -– psychisch krank zu sein, ist nach wie vor ein Stigma. Dennoch: Das Bewusstsein mit der Erkrankung nicht alleine zu sein, gibt ihr Kraft. „Ich versuche die Krankheit nicht mehr zu verdrängen und mir zu sagen, es ist eine Krankheit wie jede andere, so wie manch anderer Diabetes hat.“

Von Mira Fricke (dpa )