Wenn der Wolf im eigenen Körper steckt: Kollagenosen

Der Wolf im eigenen Körper: Mit Kollagenosen leben lernen

Lupus ist das lateinische Wort für Wolf. Foto: Benjamin Dye/picture alliance/All Canada Photos

Gelenk-Rheuma kennt man. Aber es gibt auch rheumatische Erkrankungen, die nicht in erster Linie die Gelenke angreifen. Sie in den Griff zu bekommen, ist bisweilen eine Lebensaufgabe. Betroffenen hilft, sich gut zu informieren und zu vernetzen.

Mira Winterstein war erst elf Jahre alt, als ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt wurde. Es war der Tag, an dem ihr Bruder konfirmiert wurde. Sie hatte in der Zeit davor stark abgenommen, fühlte sich unwohl. Um ein bisschen zu entspannen, setzte sie sich einen Moment in die Sonne. Dann brach das Mädchen zusammen. „Ich dachte, ich würde sterben.”

Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte Pfeiffersches Drüsenfieber. Sie wurde wieder entlassen, doch es wollte ihr einfach nicht besser gehen: Sie war müde, gereizt, alles tat weh. Irgendwann hegte ihr Vater – selbst Arzt – einen Verdacht. Sein Kind könnte am systemischen Lupus erythematodes (SLE) erkrankt sein. Er behielt Recht.

24 Jahre liegt die Diagnose nun zurück. Heute nimmt Mira Winterstein 26 verschiedene Medikamente. Sie hat 16 Jahre Chemotherapie hinter sich und lebt seit 8 Jahren mit einer transplantierten Niere. Trotzdem sagt sie: „Es geht mir gut.” So gut, wie es einem eben gehen kann, wenn der Körper die eigene DNA angreift.

Das menschliche Immunsystem ist eigentlich dafür da, Krankheiten abzuwehren. „Es schickt Abwehrzellen los, um den Körper vor Fremdem zu schützen”, erklärt Prof. Bernhard Hellmich von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie. Bei manchen Menschen gehen diese Abwehrzellen aber auch auf die eigenen Zellkerne los. Beim systemischen Lupus erythematodes ist das so. Er gehört zur Gruppe der sogenannten Kollagenosen.

Hellmich vergleicht diese Krankheiten gern mit Schmetterlingen. Es gibt grüne, rote, schwarze, gelbe” – so ist es auch mit den Kollagenosen. Sie eint, dass der Körper das eigene Immunsystem nicht in Schach halten kann. Je nach Erkrankung greift es unterschiedliche Körperteile an. Beim Lupus ist es die eigene DNA. Beim Sjögren-Syndrom – der am häufigsten vorkommenden Kollagenose – zerstört es Drüsen wie die Tränen- oder Speicheldrüse. Bei der systemischen Sklerodermie richten sich die Abwehrzellen gegen das Bindegewebe.

Lupus oder Sjögren-Sydrom lassen sich nicht ursächlich behandeln

So wie es bunt-gemusterte Schmetterlinge gibt, so können auch mehrere Kollagenosen zusammen auftreten. Lupus-Patienten etwa haben häufig auch das Sjögren-Syndrom. Bei vielen Patienten mit Kollagenosen kommen Beschwerden hinzu, die eigentlich typisch für Rheuma sind: Gelenke entzünden sich, schmerzen, werden dick. „Das ist allerdings ein Nebenschauplatz”, erklärt Christian Tomiak, Oberarzt im Reha-Zentrum Bad Aibling. Anders als bei der rheumatoiden Arthritis zerstören die Entzündungen die Gelenke in der Regel nicht.

Trotzdem behandeln Ärzte Kollagenosen mit Medikamenten aus der Rheumatherapie. Wenn sich nämlich Abwehrzellen fälschlicherweise gegen körpereigene Strukturen richten, reagiert der Körper mit Entzündungen. Sie sind es, die die Schmerzen verursachen. Deswegen bekämpft man Kollagenosen mit Medikamenten, die Entzündungsprozesse unterbinden – und mit solchen, die das Immunsystem in Schach halten. Außerdem greift man da ein, wo die Krankheit wütet. Sjögren-Patienten bekommen Tropfen gegen die trockenen Augen, Sklerodermie-Patienten Medikamente für die angegriffene Haut.

Ursächlich behandeln lassen sich Kollagenosen allerdings genauso wenig wie alle anderen Autoimmunerkrankungen. „Wir wissen ja nicht einmal, warum das Immunsystem so fehlgeleitet reagiert”, sagt Tomiak. Einer Theorie zufolge ist jedes Immunsystem erst mal darauf aus, alles anzugreifen. Demnach hat der Körper Mechanismen, die es im Zaum halten. „Wenn das stimmt, ist es eigentlich erstaunlich, dass diese Mechanismen bei den allermeisten Menschen so gut greifen.”

Wird eine Kollagenose diagnostiziert, kann niemand vorhersagen, wie sie verläuft. Bei manchen Patienten verursacht der systemische Lupus erythematodes bleierne Müdigkeit und Gelenkbeschwerden. Und meist auch eine charakteristische Röte auf den Wangen – das sogenannte Schmetterlingserythem. Früher hinterließ es Narben, die Menschen mit Wolfsbissen verglichen. Daher stammt vermutlich der Name: Lupus ist das lateinische Wort für Wolf. Bei anderen Patienten verläuft die Krankheit deutlich schwerer und greift innere Organe an.

Den Wolf im eigenen Körper akzeptieren

Mira Wintersteins Niere wurde vom Lupus völlig zerstört. Vor acht Jahren bekam sie eine neue, die nun so gut es geht geschützt werden muss. Mit allen Mitteln halten ihre Ärzte ihr Immunsystem und die zahlreichen Entzündungsprozesse in ihrem Körper unter Kontrolle. Die Krankheit beherrscht im Grunde ihr Leben. Trotzdem hat sie gelernt, sich davon nicht unterkriegen zu lassen.

Dafür braucht es zuallererst gesicherte Informationen. Erster Ansprechpartner ist dafür der behandelnde Arzt – in der Regel ein internistischer Rheumatologe. Dieser Spezialist gestaltet die Therapie gemeinsam mit dem Patienten.

Um einen besseren Umgang mit der Erkrankung zu lernen, kann je nach Erkrankung und Verlauf eine Reha sinnvoll sein. „Ziel sollte sein, die Krankheit als ständigen Begleiter zu akzeptieren, sie aber nicht so in den Mittelpunkt zu stellen”, sagt Christian Tomiak, der in einer Reha-Klinik arbeitet.

Ängste etwa verursachen Stress, den ein Körper, der ohnehin schon gebeutelt ist, ganz und gar nicht gebrauchen kann. Tomiaks Erfahrung nach fragen sich viele Patienten, ob sie etwas falsch gemacht haben oder ob sie weiter arbeiten gehen sollen. „In einer Reha können wir all diese Fragen ganz in Ruhe beantworten.”

Als sie noch jünger war, träumte Mira Winterstein manchmal, dass ein Tier ihre inneren Organe auffraß. Es ist nicht so leicht, etwas, das so zerstörerisch ist, als Teil des eigenen Selbst anzuerkennen. „Allein schafft man das nicht.” Sie rät Betroffenen, sich mit anderen auszutauschen: „Es gibt Selbsthilfegruppen für jede dieser Erkrankungen.”

Sie selbst engagiert sich in der Lupus Erythematodes Selbsthilfegemeinschaft. So hat sie gelernt, den Wolf in ihrem Körper zu akzeptieren und so „normal” wie möglich zu leben. Sie isst gesund, treibt so viel Sport wie sie kann, trifft sich mit Freunden. Nur ihren Job als Erzieherin kann sie nicht mehr ausüben. Und die Sonne ist seit dem Tag vor 24 Jahren tabu. Das helle Licht löst bei ihr – wie bei vielen Lupus-Patienten – einen Krankheitsschub aus.

Es lebt sich aber auch im Schatten ganz gut, sagt Mira Winterstein. Den Umständen entsprechend.

Von Teresa Nauber (dpa)