Gesundheitsminister Gröhe will gegen rasant steigende Arzneikosten vorgehen – ohne die Versorgung der Patienten zu gefährden oder die Innovationskraft der Pharmaindustrie zu beeinträchtigen. Ein schwieriges Vorhaben.
Das Hepatitis-C-Präparat Harvoni brachte seinem Hersteller im ersten Jahr der Markteinführung einen Umsatz von 783 Millionen Euro. Sovaldi, das ebenfalls gegen Hepatitis C wirkt, brachte 495 Millionen und Tecfidera gegen Multiple Sklerose 326 Millionen Euro. Die gesetzlichen Krankenkassen sprechen hier gerne von „Mondpreisen“ und verlangen eine Reform der seit 2011 geltenden Arzneimittelmarktreform AMNOG. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kommt den Krankenkassen entgegen, aber wohl nicht weit genug.
Wie will Gröhe gegen Mondpreise vorgehen?
Er will eine Umsatzschwelle von 250 Millionen Euro für ein Präparat im ersten Jahr einführen. Sobald das Mittel diese Schwelle erreicht hat, gilt von diesem Zeitpunkt an rückwirkend ein niedrigerer Erstattungsbetrag. Dieser Erstattungsbetrag wird – orientiert am Zusatznutzen des Mittels – zwischen Hersteller und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) innerhalb eines Jahres ausgehandelt. In dieser Zeit kann der Hersteller den Preis grundsätzlich selbst festlegen.
Wie viele Mittel lagen 2015 über diesem Schwellenwert?
Über dem Umsatz von 500 Millionen Euro lagen im ersten Jahr der Markteinführung zwei Präparate, über dem Schwellenwert von 250 Millionen waren es drei, über 100 Millionen kamen im ersten Jahr 7 Präparate und über 50 Millionen Euro kamen 13, wie aus Regierungskreisen zu erfahren war.
Was sagen die Krankenkassen?
Der GKV-Spitzenverband will, dass der niedrigere Erstattungsbetrag vom ersten Tag der Markteinführung an rückwirkend gilt – unabhängig von Umsatzschwellen. Das könnte im Jahr 245 Millionen Euro zusätzlich einsparen. Die stellvertretende Sprecherin des Verbandes, Ann Marini, erklärte: „Eine Umsatzschwelle in dieser Höhe greift nur die oberste Spitze ab, keinesfalls behebt sie den systematischen Konstruktionsfehler.“
Wie soll die Preisbildung künftig ablaufen?
Bisher wurde der Erstattungsbetrag zwischen Hersteller und GKV ausgehandelt und dann veröffentlicht. Diese Veröffentlichung zwinge die Hersteller, so die Argumentation der Pharma-Industrie, möglichst hohe Abschlüsse zu erzielen. Denn Deutschland ist Referenzmarkt insbesondere für das europäische Ausland. Wenn die Verhandlungen und der Preisabschluss vertraulich blieben, könne die Pharmaindustrie höhere Rabatte geben.
Gröhe will dem nun entgegenkommen. Allerdings gibt es dem Vernehmen nach innerhalb der Regierungskoalition Streit, ob es überhaupt vertraulich verhandelt werden solle und ob auch Ärzte und Apotheker diese Informationen vollständig bekommen sollen. Dieser Part soll nun in einer Verordnung geregelt werden.
Wie sehen Kassen und Pharmaindustrie die Vertraulichkeit?
Angesichts der andauernden Unklarheiten bei der Regelung zur Vertraulichkeit hieß es in Kreisen der Pharmaindustrie: „Die Hängepartie geht weiter.“ Marini sprach von „Geheimpreisen“ und fügte hinzu: „Wenn Ärzte die konkreten Erstattungsbeträge nicht mehr kennen, können sie Arzneimittel nicht wirtschaftlich verordnen.“
Wo soll noch gespart werden?
Die Preise für Arzneimittel aus dem Bestandsmarkt, die keiner Preisregulierung durch das AMNOG unterliegen, sollen weiter bis 2022 eingefroren bleiben und lediglich im Rahmen der Inflationsrate angepasst werden können. Dies verhindere Mehrausgaben von 1,5 Milliarden bis 2 Milliarden Euro, hieß es.
Wie werden Ärzte über ein neues Mittel bisher informiert?
Der GKV-Spitzenverband kritisiert seit langem, dass die Ärzte viel zu spät die Informationen über den Zusatznutzen eines neuen Präparates bekämen. Das schränke die Therapieoptionen des Arztes für seien Patienten ein. Das neue „Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV“, das jetzt in die Ressortabstimmung geht, will dafür sorgen, dass die Informationen schneller bei den Ärzten ankommen.
Werden auch die Leistungen der Apotheker besser vergütet?
Ja. Sie bekommen durch die Neuregelungen jährlich 100 Millionen Euro mehr Vergütungen.
Von Ruppert Mayr (dpa)