Brustkrebs gilt nach wie vor als Frauenkrankheit, doch sie kann auch Männer treffen. Wird der Tumor früh erkannt, liegen die Heilungschancen bei über 80 Prozent. Doch noch gibt es kaum Studien zum Brustkrebs beim Mann – und erst wenige Anlaufstellen, wo sich Betroffene austauschen können.
Hartmut Knierim arbeitete in seinem Garten, als er ihn bemerkte, den kleinen Knubbel unterhalb seiner rechten Brustwarze. „Nicht viel größer als ein Daumennagel“, erinnert sich der 70-Jährige. Er zeigte die Stelle seiner Frau, und da diese in der darauffolgenden Woche ohnehin einen Termin beim Frauenarzt hatte, überredete sie ihren Mann mitzukommen. Der Gynäkologe nahm eine Gewebeprobe und wenige Tage später stand der Befund fest: Hartmut Knierim hatte Brustkrebs.
Knierim hatte Glück. Da der Tumor noch sehr klein war und auch der Wächterlymphknoten keine auffälligen Zellveränderungen aufwies, brauchte er nicht einmal eine Chemotherapie und konnte das Tumorgewebe relativ einfach entfernt werden – samt Brustwarze. Danach kam die Bestrahlung.
So glimpflich wie der Schleswig-Holsteiner kommt jedoch nicht jeder davon. Anders als bei Frauen gibt es für Männer keine speziellen Früherkennungsprogramme und auf die Idee, sich beim Duschen selbst die Brust abzutasten, kommen die wenigsten. Viele Betroffene gehen daher erst zum Arzt, wenn der Brustkrebs schon weit fortgeschritten ist – etwa, weil sich die Brustwarze verändert hat, sie sich entzündet, einzieht, blutet oder schuppt.
Was sind Wächterlymphknoten?
Lymphknoten sind Teil des körpereigenen Abwehrsystems. Sie arbeiten als Filterstation für die Lymphe (eine spezielle Form der Gewebsflüssigkeit) und entsorgen alle unliebsamen Krankheitserreger – nicht nur Bakterien und infektiöse Zellfragmente, sondern auch Krebszellen. Als Wächterlymphknoten wird derjenige Lymphknoten bezeichnet, zu dem die Lymphflüssigkeit aus einem betroffenen Tumorgebiet als erstes abfließt. Ist der Wächterlymphknoten frei von bösartigen Krebszellen (nodal-negativer Befund), sind meist auch die übrigen, nachgeschalteten Lymphknoten nicht befallen. In der Diagnose und Behandlung bestimmter Krebsarten, insbesondere von Brustkrebs, schwarzem Hautkrebs und Prostatakrebs, ist das Wächterlymphknoten-Verfahren eine wirksame Methode, um herauszufinden, ob nachgeschaltete Lymphknoten entfernt werden müssen.
Bei Männern ist Brustkrebs äußerst selten
„Das Problem ist, dass die meisten Männer gar nicht wissen, dass sie Brustkrebs erkranken können“, erklärt Peter Jurmeister, Vorsitzender und Gründer des ersten und bislang einzigen deutschen Selbsthilfenetzwerks für Männer mit Brustkrebs. Bei dem damals 59-Jähigen wurde 2008 ein Mammakarzinom diagnostiziert.
Wie die weibliche Brust besteht auch die männliche größtenteils aus Brustdrüsengewebe und besitzt sogenannte Milchgänge – beim Mann sind diese allerdings meist viel geringer ausgebildet. „Vermutlich ist das auch ein Grund, warum Brustkrebs bei Männern so selten auftritt“, sagt Jurmeister. Den rund 700 Männern, die jährlich an Brustkrebs erkranken, stehen laut Angaben des Zentrums für Krebsregisterdaten (ZfKD) am Robert Koch-Institut gut 70.000 Frauen gegenüber. Auslöser der Erkrankung bei Männern sind häufig genetische Faktoren.
Auch Knierim hatte vor seiner Diagnose noch nie davon gehört, dass er als Mann Brustkrebs bekommen könnte, und war mit dem Befund erst einmal überfordert. „Ich hatte tatsächlich keine Ahnung, an wen ich mich nun wenden sollte“, erinnert sich der 70-Jährige. Als er seinem Urologen von der Diagnose erzählte, sah der ihn nur ungläubig an – einen Mann mit Brustkrebs hatte der Arzt noch nie gesehen.
Viele Männer schämen sich für diese Krankheit
„Normalerweise werden Männer wie Frauen in speziell zertifizierten Brustzentren behandelt“, berichtet Isabell Witzel, Fachärztin für Frauenheilkunde und Leiterin des Brustzentrums am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Brustzentren sind Klinikabteilungen, die sich auf die Behandlung von Brustkrebs spezialisiert haben und die Betroffenen dabei auch psychologisch betreuen. In Deutschland gibt es rund 280 dieser Zentren.
Knierim wurde in einem ganz normalen Krankenhauses in seiner Heimatstadt Lübeck behandelt. Dass neben ihm fast nur Frauen lagen, störte ihn wenig. Überhaupt ging Knierim offen mit der Erkrankung um. „In meinem Bekanntenkreis wusste fast jeder, dass ich Brustkrebs hatte“, erzählt er.
So offen ist jedoch nicht jeder. „Für viele Männer ist die Diagnose Brustkrebs mit Scham besetzt“, weiß Jurmeister. Brustkrebs gilt nach wie vor als Frauenkrankheit und lässt viele Betroffene an ihrer Männlichkeit zweifeln. „Bist du kein richtiger Mann?“, oder „Stimmt etwas mit deinen Hormonen nicht?“ sind gängige Fragen, wenn Betroffene sich „outen“. Knierim kennt einen Mann, der all seinen Freunden vorgaukelte, er würde am Blinddarm operiert werden, während ihm tatsächlich die Krebszellen aus der Brust entfernt wurden. „Am Wissen, dass Brustkrebs eine Krankheit ist, die jeden treffen kann, egal welchen Geschlechts “, sagt Jurmeister, „ müssen wir noch arbeiten.“
„Ersetze sie durch er“
Für ihre Serie „Ersetze sie durch er“ (orig. „Lees hij voor zij“) porträtierte die niederländische Fotografin Suzanne Reitsma Männer nach einer Brustoperation. Für ihre Arbeit wurde Reitsma 2015 beim internationalen Pride Photo Award mit einer „Besonderen Erwähnung“ geehrt. Die vollständige Bilderserie finden Sie auf ihrer Website.
Repräsentative Studien sind Mangelware
Wie bei Frauen hängt die Wahl der Behandlungsmethode auch bei Männern von der Art des Krebses ab. „In der Regel unterscheidet sich die Therapie jedoch kaum von der bei Frauen“, erklärt Fachärztin Witzel, „nur dass im Nachhinein kein Wiederaufbau der Brust notwendig ist.“ Das heißt: Operation, Bestrahlung, Chemotherapie. Da das Wachstum von Tumoren maßgeblich durch Östrogene beeinflusst wird, werden viele Männer – ebenso wie Frauen – nach der Therapie zusätzlich mit Antihormonen behandelt.
Auch Knierim sollte im Nachgang vorsorglich Tamoxifen schlucken, ein Anti-Hormon-Medikament, das die Bildung von Östrogenen unterdrückt. Er entschied sich dagegen. „Nur weil die Tabletten bei Frauen gut wirken, heißt das nicht, dass sie bei Männern denselben Effekt haben“, erklärt Knierim. Außerdem reichten die Nebenwirkungen bis hin zur Impotenz.
Tatsächlich wird Brustkrebs bei Männern vor allem deshalb wie bei Frauen therapiert, weil die Krankheit bei ihnen bislang kaum erforscht ist. „Leider gibt es nur wenig fundierte Studien, die sich mit Brustkrebs bei Männern beschäftigen“, bestätigt Isabell Witzel. Die Wirkung der antihormonellen Behandlung wird zwar gerade in der MALE-Studie der German Breast Group (GBG) untersucht, doch auch sie umfasst lediglich 48 Patienten. „Für repräsentative Untersuchungen“, so Witzel, „gibt es einfach zu wenig Betroffene.“
Wichtiger Austausch mit anderen Betroffenen
Auch Hartmut Knierim wünscht sich mehr Forschung in dem Bereich. Fünf Jahre sind seit der Diagnose vergangen, seit vier Jahren ist Knierim krebsfrei. Was ihm während der Zeit der Krankheit jedoch am meisten gefehlt hat, war der Austausch mit anderen Betroffenen. „Ich habe mich damals bei vielen Ärzten erkundigt“, erzählt er, „aber eine Selbsthilfegruppe für Männer mit Brustkrebs kannte niemand.“ Die Entscheidung gegen die Antihormonbehandlung musste er schließlich mit sich allein ausmachen.
Damit es anderen Betroffenen nicht so ergeht, engagiert Knierim sich heute in Peter Jurmeisters gemeinnützigem Netzwerk „Männer mit Brustkrebs“. Hier ist er Ansprechpartner für die Region Kiel, vermittelt Kontakte zu Ärzten und gibt seine Erfahrungen weiter. Viermal ist er bislang angerufen worden – von Frauen.