Auf einem Fahrrad fahren, das sich nicht bewegt – warum nur? Fans von Indoor Cycling beantworten die Frage mit: weil du dich passend zu hipper Musik in der Gruppe richtig auspowern kannst. Ein Selbstversuch.
An der Decke zucken hektische Lichtpunkte, die Farben wechseln rhythmisch von Blau über Grün zu Weiß. Sie sorgen als Einziges für etwas Licht in dem ansonsten dunklen Raum. Wummernde Beats wabern über den Boden, jemand brüllt „Are you readyyyy?“. Es könnte der Auftakt zu einer rauschenden Clubnacht werden – könnte. Denn zum Tanzen ist viel zu wenig Platz, 33 Fahrräder stehen herum. Statt Wodka gibt es gefiltertes Wasser, statt Schminke Schweiß.
Das Berliner Studio „Becycle“ will Indoor-Cycling – also Radfahren auf einem stationären Bike – zum besonderen Gruppenerlebnis machen. In Kursen von 45 oder 60 Minuten fahren die Teilnehmer nach einer bestimmten Abfolge imaginäre Hügel hinauf oder legen Sprints ein. Das alles zu elektronischer Musik und aktuellen Beats. „Musik, Licht und Atmosphäre gehen ineinander auf“, erklärt Gundula Cöllen, Gründerin des Studios. In den USA gibt es schon seit Jahren Anbieter, die Radfahren zum Event machen – Soulcycle etwa oder Flywheel.
„Der Schweiß fließt schon nach wenigen Minuten“
Cöllen, die lange Zeit im Ausland für eine Unternehmensberatung gearbeitet hat, wollte das Konzept nach Berlin bringen: „Mir hat ein intensives Cardio-Workout zu Musik gefehlt.“ 2016 eröffnete das Studio in einer ehemaligen Sparkasse in Mitte, der Tresor im Untergeschoss ist heute die Dusche. Ihr Zielpublikum ist zwischen 25 und 40 Jahre alt, lebt in Berlin-Mitte und spricht zu 70 Prozent fließend Englisch. „Hier kommen Leute her, die harte Jobs haben und schon um 6.00 Uhr morgens Sport machen wollen.“
Hart ist das Cycling, keine Frage. Der Schweiß fließt schon nach wenigen Minuten. Ich bin mir nicht sicher, ob die Halbliterflasche Wasser bis zum Kursende reichen wird. Zum Glück kann ich selbst entscheiden, wie hart ich drauf sein will: Am Fahrrad lässt sich der Widerstand individuell einstellen, Kursleiterin Paula gibt nur das Ziel vor, wie viele Umdrehungen wir erreichen sollen. Der Puls ist in Nullkommanichts nach oben gestrampelt.
Das ist beim Indoor Cycling auch gewünscht: „Ein supereffektives Herz-Kreislauf-Training“, urteilt Achim Schmidt von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Beine und Rücken werden zusätzlich beansprucht, die Arme weniger. Der Vorteil gegenüber Radfahren in der Natur: „Wenn ich drinnen 60 Minuten fahre, habe ich 60 Minuten Belastung. Wenn ich draußen fahre, habe ich vielleicht nur 60 Prozent Belastung, den Rest rolle ich.“ Gerade für Leute mit wenig Zeit, die aber das Maximale aus ihrem Training rausholen wollen, ist Cycling eine gute Möglichkeit.
Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist Cycling nicht geeignet
Den Gruppeneffekt beurteilt Schmidt dagegen kritisch: „Für Anfänger ist es schwierig, das zu dosieren. Die geben dann gleich Vollgas, weil die anderen sie so mitziehen.“ Grundsätzlich ungeeignet ist Spinning oder Cycling für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen – zumindest in der Intensität, wie es in Cycling-Studios wie dem „Becycle“ üblich ist. Auch wer frisch an Knie oder Hüfte operiert ist, steigt besser erst mal nicht aufs Fahrrad.
Allen anderen empfiehlt Schmidt, ruhig dreimal pro Woche zu radeln – in Ergänzung zu Laufen oder Gewichttraining. Das findet auch Cöllen wichtig: In ihrem Studio gibt es deshalb Yoga, High Intensity Training oder Barre-Workouts, bei dem man seine Muskeln an der Ballettstange trainiert. „Du musst dich stretchen, du musst deinen Bauch trainieren – alles Dinge, die beim Cycling nicht so gefordert sind“, sagt die Studioleiterin.
Die Technik hat man schnell drauf, wichtig ist, den Sattel hoch genug einzustellen: „Das baut sonst Druck im Kniegelenk auf“, erklärt Schmidt. Als Faustregel gilt: Wenn die Ferse unten auf dem Pedal steht, ist das Bein gestreckt. Sinnvoll ist auch eine gepolsterte Radlerhose, damit man den harten Sattel nicht noch am nächsten Tag spürt.
„Jeder bestimmt über seinen eigenen Trainingserfolgt“
Viele Anbieter verleihen kostenlos Radschuhe mit Click-Mechanismus, mit denen man optimal Kraft übertragen kann. Das Ein- und Ausklicken lässt man sich am besten ein paarmal zeigen: Einmal ausgeklickt, schafft man es als Anfänger im abgedunkelten Raum nämlich nur schwer, sie wieder einrasten zu lassen.
Die versprochene Gruppendynamik lässt beim ersten Ausprobieren auf sich warten: Zu sehr bin ich damit beschäftigt, den Anweisungen von Paula zu folgen, die von „Dial in“, wenn wir den Widerstand wählen sollen, bis hin zu „It’s only Wednesday – what do you wanna overcome this week?“ reichen. Gleichzeitig gilt es, die Umdrehungsrate meines Fahrrads im Blick zu haben, was dank des beleuchteten Displays mühelos gelingt. Ein bisschen fühle ich mich trotzdem wie ein Einzelkämpfer, jeder keucht und transpiriert vor sich hin. Kurz überlege ich, ob ich den Widerstand einfach rausnehmen soll – würde ja keiner sehen.
Dass jeder auf seinem Fahrrad letztlich machen kann, was er will, ist ein wenig der Knackpunkt: „Es braucht sehr gut ausgebildete Lehrer, die die Klasse im Blick haben und erkennen können, ob sich da gerade jemand völlig verausgabt“, sagt Schmidt. Für die Instruktoren sei es aber fast unmöglich zu erkennen, ob jemand mit voller Power fährt oder nur so tut.
Insofern bestimmt jeder über seinen eigenen Trainingserfolg: Im 45-minütigen Kurs kämpft sich der eine eben den steilen Anstieg hoch – der andere fährt nur schnell Brötchen holen.
Von Julia Kirchner (dpa)