In der Pflegebranche fehlen Fachkräfte und Nachwuchs. Die Volkssolidarität, das Weiterbildungsinstitut IWK und eine Magdeburger Gesamtschule wollen nun mit einer Kooperation gegensteuern.
Stifte und Hefte bleiben bei den Schülern an diesem Nachmittag in der Tasche. Stattdessen werden Blutdruckmessgeräte und Stethoskope verteilt. Für die 14 Neuntklässler der Integrierten Gesamtschule „Regine Hildebrandt“ in Magdeburg steht seit diesem Schuljahr Pflege auf dem Stundenplan. Dieses Mal heißt das: Puls messen, Blutdruck kontrollieren, das Herz-Kreislauf-System kennenlernen.
Das Kooperationsprojekt zwischen dem Landesverband der Volkssolidarität Sachsen-Anhalt, der Gesamtschule und dem Institut für Weiterbildung in der Kranken- und Altenpflege (IWK) ist ein neuer Ansatz, um Schüler frühzeitig für Pflegeberufe zu begeistern. Der Wahlpflichtkurs geht über zwei Jahre und beinhaltet ein zweiwöchiges Praktikum, das in einer sozialen Einrichtung absolviert werden soll. „Wir müssen die Jugendlichen ansprechen und stärker fördern“, sagt die Personalleiterin der Volkssolidarität Sachsen-Anhalt, Anja Girschik.
Mehr unbesetzte Stellen als Arbeitslose
Der Grund dafür ist klar: In der Pflegebranche fehlt qualifiziertes Personal. Auf Länderebene gelte die Altenpflege als „Engpassberuf“, sagt Kristian Veil, Sprecher der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen von der Bundesagentur für Arbeit. „Hier übersteigt die Nachfrage nach Fachkräften das Angebot an Fachkräften.“
Die Jahresdurchschnittswerte der Arbeitsagentur zeigen: Während die Zahl der Arbeitslosen in der Altenpflege seit 2013 deutlich zurückgegangen ist, hat sich die Zahl der gemeldeten freien Stellen fast verdoppelt. In der Gesundheits- und Krankenpflege gab es im Dezember 2017 sogar mehr unbesetzte Stellen als Arbeitslose.
Während also der Bedarf an Pflegekräften steigt, sinkt das Interesse junger Menschen, in der Branche zu arbeiten. Zwischen 2012 und 2016 hat die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Auszubildenden in der Altenpflege stetig abgenommen. Auch das IWK kämpft mit fehlendem Nachwuchs. „Die Bewerberzahl ist in den vergangenen zehn Jahren rapide runtergegangen“, sagt Pflegefachdozentin Manuela Ball, die am IWK die Gesamtschüler unterrichtet.
Während es früher Jahre mit zwei Klassen gab, müsse man sich heute anstrengen, genügend Schüler für eine Klasse zu finden. Den Grund sieht sie vor allem im schlechten Image der Pflegeberufe. „Es ist dringend notwendig, das Bild aufzuwerten. Es muss eine größere Würdigung für Pflegekräfte und mehr Anerkennung für den Beruf als solchen geben“, fordert Ball. An diesem Punkt soll nun das Schulfach Pflege ansetzen.
Die Teilnehmer haben das Fach statt einer zweiten Fremdsprache gewählt. Und der Unterricht mit vielen Exkursionen und praktischen Übungen – unter anderem auch einem Erste-Hilfe-Kurs – scheint bei ihnen anzukommen. „Eigentlich wollte ich Polizist werden“, erzählt Justin Jacobs, einer von vier Jungen in dem Kurs. Seit diesem Schuljahr stehe aber Pfleger auf seiner Berufswunsch-Liste ganz oben. Das Praktikum habe er im Krankenhaus absolviert und dort beim Waschen von Patienten und beim Verbandswechsel geholfen. Berührungsängste habe er keine gehabt, im Gegenteil: „Das hat auf jeden Fall Spaß gemacht.“
Erfolge sind bereits sichtbar
Mittlerweile sei die Kooperation sogar bundesweit bekannt geworden, berichtet Personalleiterin Girschik, unter anderem durch Berichte in mehreren Fachzeitschriften. „Innerhalb der Volkssolidarität gab es bereits Anfragen von anderen Landesverbänden zu dem Projekt. Viele waren überrascht, wie das funktioniert“, berichtet sie. Lehrerin Manuela Ball hat eine Erklärung dafür: „Die meisten der Schüler in dem Kurs haben schon Misserfolge in der Schule hinter sich.“ Im Pflege-Unterricht würden nun Fähigkeiten hervorkommen, von denen die Jugendlichen oft selbst nichts wussten. „Wir merken dann richtig: Die Schüler haben eine hohe soziale Kompetenz.“
Wenn es nach den Beteiligten geht, soll die Kooperation langfristig fortgesetzt werden. Das Problem, dass Fachkräfte und Nachwuchs in der Pflegebranche fehlen, werde schließlich nicht so schnell verschwinden, sagt Girschik. Erste Erfolge, als Arbeitgeber stärker an die Öffentlichkeit zu gehen, zeigten sich bereis: Für den Ausbildungsstart im August, berichtet sie, gebe es schon jetzt mehrere Bewerbungen.
Von Jessica Hanack (dpa)