Dein Kleid und Helfer

© Matthias Steffen

© Matthias Steffen

Fast jeder hat ein Handy in seiner Tasche. Doch bald wird unsere Kleidung selbst zum Computer – eine sensorbesetzte Jacke, die beim Schlaganfall den Arzt ruft, oder der Strampler, der sofort Alarm gibt, wenn das Baby nicht regelmäßig atmet. Auch das Design Research Lab der Universität der Künste Berlin (UdK) forscht an smarten Textilien.

Auf den ersten Blick wirkt der Baby-Body unauffällig. Er hat kurze Ärmel, eine Reihe einfacher Druckknöpfe und einen dunklen Kragen. Sein integrierter Schaltkreis misst die Herz-Rhythmus-Aktivität des Kindes und warnt die Eltern mit einem akustischen Signal, sobald die Atmung ausbleibt. Entwickelt haben den Strampler, der Neugeborene vor dem plötzlichen Kindstod bewahren soll, Forscher des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) in Berlin.

Wearables

Unter dem Begriff Wearable versteht man nah am Körper tragbare Minicomputer, beispielsweise Fitnessarmbänder, die beim Laufen die Herzaktivität ihres Trägers messen. Aber auch Textilien mit integrierten Sensoren und Mikroelektronik können als Wearables bezeichnet werden. Laut einer repräsentativen Online-Umfrage, die Anfang 2015 im Auftrag der Wirtschaftsberatungsgesellschaft PwC durchgeführt wurde, besitzen bereits 17 Prozent der Deutschen eines oder mehrere dieser tragbaren elektronischen Geräte.

Damit sich ein Kleidungsstück als Wearable auf dem Markt durchsetzen kann, muss nicht nur die Technik funktionieren, sondern auch das Design stimmen, weiß Katharina Bredies, Textilforscherin am Design Research Lab der UdK. Sie beschäftigt sich seit längerem mit der Entwicklung und dem Design smarter, also „intelligenter“ Textilien. „Die Technik soll dem Menschen helfen“, sagt die Forscherin. „Gleichzeitig muss sie unauffällig und alltagstauglich sein.“

Smarte Kleidung

Vorarbeit in Sachen smarter Kleidung leistete die Europäische Union bereits im Jahr 2005, als sie das Forschungsprogramm „Biosensing Textiles for Personalised Healthcare Management“ (BIOTEX) finanzierte – Ziel war die Entwicklung intelligenter Kleidung für Menschen mit Pflegebedarf. Seitdem hat sich der Anwendungsbereich smarter Textilien zunehmend ausgeweitet. Modemacher und Designer wollen die Überwachung von Vitalparametern nicht länger nur Wissenschaftlern und Medizinern überlassen. Auf der „Berlin Fashion Week 2015“ wurde im Rahmen der Konferenz Fashiontech erstmals intelligente Mode auf dem Laufsteg präsentiert.

Damit etwa aus einem T-Shirt ein smartes T-Shirt wird, braucht es eigentlich nur Mikrosensoren und verbindende metallische Leiter für die Datenübertragung – natürlich möglichst unauffällig verarbeitet. Die Sensoren messen die Vitaldaten des Trägers und leiten diese an ein Smartphone oder ein anderes Gerät weiter. Dort werden die Informationen verarbeitet und es wird, wenn nötig, ein Alarm ausgelöst, etwa durch einen Signalton oder eine leuchtende LED.

So funktioniert auch der Pulswärmer für Menschen mit Karpaltunnelsyndrom (KTS), den Katharina Bredies, Nathalie Krüger und Hannah Perner Wilson am Design Research Lab entwickelt haben. Dass sich an definierten Stellen Mikrosensoren befinden, sieht man dem Kleidungsstück nicht ohne Weiteres an – man kann es aber hören. Bei übermäßiger oder falscher Belastung aktivieren diese „textilen Sensoren“ einen ebenfalls ins Gewebe eingearbeiteten Summer und erinnern den Träger in Sekundenbruchteilen daran, sein Handgelenk wieder zu entspannen.

Knautschen und Zerren

Heute sind Bedienungsprozesse immer an Geräte gekoppelt. Für das An- und Ausschalten einer Mikrowelle oder eines Radios braucht man Schalter, Knöpfe oder die Fernbedienung. Textil-Wearables könnten zukünftig einige dieser Aufgaben übernehmen. Ihr großer Vorteil: Wir tragen sie immer bei uns und sie passen sich unserem Alltag im wahrsten Sinne des Wortes an. Der Rest ist Programmierung.

 

So haben die Forscher des Design Research Lab beispielsweise eine Jacke für Schlaganfallpatienten entwickelt – bei der braucht man im Notfall nicht nach dem Handy zu kramen, um dann hoffentlich die richtige Nummer für den Notarzt zu finden, sondern greift sich nur kurz an die Brust. „Das ist eine schnelle und einfache Bewegung, über die der Betroffene nicht lange nachdenken muss“, erläutert Bredies. Über einen „textilen Schalter“ wird sofort der Notruf ausgelöst.

Der Markt muss warten

Wie der Baby-Strampler des Fraunhofer-Instituts sind auch die intelligenten Kleidungsstücke des Design Research Lab noch nicht zu kaufen. Das liegt weniger an den Designern oder Entwicklern. Bevor ein smartes Textil im Laden hängt, muss getestet und gegebenenfalls in neue Werkstoffe oder auch Fertigungsprozesse investiert werden.

Aber auch technisch gibt es noch einiges zu tun. Die Sensoren in smarten Textilien müssen viel aushalten. Jacken oder T-Shirts landen gerne mal zusammengeknüllt in der Ecke, werden womöglich täglich getragen und schließlich gewaschen oder sogar gebügelt. „Wir müssen noch vieles vertiefen und weiterentwickeln“, sagt Katharina Bredies. Sie ist sich aber sicher, dass das machbar ist.

Was den Umsetzungsprozess und die Vermarktung solcher neuen Produkte angeht, ist sich die Forscherin allerdings etwas weniger sicher. Hier sei die Wirtschaft am Zug: „Schließlich sind wir eine Universität und kein Unternehmen.“