Demenz: Wenn die Katze zweimal frisst

Wenn die Katze zweimal frisst – Demenz trifft alternde Haustiere 

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Nicht nur Menschen werden immer älter, sondern auch Haustiere. Damit nehmen Wehwehchen und Altersleiden zu – auch das Gehirn kann Probleme machen. Noch gibt es Forschungsbedarf.

Es geht nicht mehr alles so schnell wie in früheren Jahren bei Susi. Beim Treppensteigen braucht sie Hilfe, Arthritis macht ihrer Hüfte arg zu schaffen. Vor die Tür geht sie viel seltener als früher – nur, wenn das Wetter nicht zu schlecht ist. Und sie ist dement. Jedenfalls möglicherweise. Für eine genaue Diagnose müsste man mit ihr sprechen, doch das geht nicht – Susi ist eine Katze.

Mehrere Millionen Haustiere besitzen die Menschen in Deutschland, vor allem Hunde und Katzen. Und nicht nur die Herrchen und Frauchen werden immer älter: Susi etwa hat mit 21 Jahren ein für Katzen nahezu biblisches Alter erreicht. Ihr Beispiel zeigt, wie Gebrechen des Alters auch zunehmend Tiermediziner beschäftigten. Es geht in solchen Fällen nicht nur um orthopädische Probleme oder einen Tumor, sondern auch um geistigen Verfall.

„Sie starrte einfach Löcher in die Luft“

Fachleute sprechen von kognitiver Dysfunktion – einer Erkrankung, die in Krankheitsbild und Verlauf der Alzheimer-Krankheit beim Menschen ähnele, sagt Tierärztin Stefanie Engert vom Tierheim Berlin. Dass Katzen betroffen sein können, haben Forscher schon vor Jahren anhand von charakteristischen Eiweiß-Ablagerungen im Gehirn nachgewiesen. Beim lebenden Tier indes kann die Diagnose bislang nur auf Verdacht und nach Ausschluss anderer Krankheiten gestellt werden.

Susi, die in Hamburg-Sasel bei Christiane und Eckart Albrecht lebt, begann vor etwa drei Jahren nachts ohrenbetäubend laut zu schreien. Anfangs gingen Albrechts trotz der Uhrzeit noch zu ihr, streichelten sie, gaben ihr zu fressen. Schließlich gingen sie zur Tierärztin. Die verschrieb zunächst Schmerzmittel und etwas für die Nieren. Es sei auch möglich, dass Susi – damals immerhin schon 18 – sich selbst nicht mehr so gut höre und daher so laute maunze, sagte die behandelnde Tierärztin Imke Tammena damals.

Tatsächlich schrie Susi danach nicht mehr jede Nacht, entwickelte aber andere auffällige Verhaltensweisen. „Dass Katzen oft raus wollen und dann gleich wieder rein, das kennen wir ja“, sagt Christiane Albrecht. „Aber Susi wollte irgendwann immer raus, nach ein paar Sekunden dann wieder rein und ein paar weitere Sekunden später dann wieder raus.“ Auch sonst habe sie immer vergesslicher gewirkt, ergänzt Eckart Albrecht. „Sie fing an, durchs Zimmer zu laufen, nach einigen Metern sitzen zu bleiben und einfach Löcher in die Luft zu starren.“ Außerdem begann sie irgendwann, alle paar Minuten nach Futter zu betteln, obwohl der Napf noch voll war und sie gerade erst gefressen hatte. Auch die Schreie wurden wieder lauter.

Als die Albrechts der Tierärztin beim nächsten Routinebesuch davon erzählten, kam der Verdacht Demenz auf. Verhaltensänderungen wie die Schreie, das leere Starren und die offensichtliche Vergesslichkeit seien dafür typische klinische Anzeichen – auch das hohe Alter erhöhe die Wahrscheinlichkeit. Die Schreie könnten ein Zeichen dafür sein, dass sie in Abwesenheit von Herrchen und Frauchen nicht mehr weiß, wo sie ist, und schlicht Angst bekommt.

Viele der Tiere landen im Heim

Bei vielen Tieren begännen die Symptome schleichend und würden den Besitzern erst viel später bewusst, erklärt die Berliner Expertin Engert. Im Tierheim gehören Erfahrungen mit solchen Patienten dazu: „Einer unserer alten Hunde zeigte zum Beispiel auf seiner Pflegestelle extreme Unruhe, wanderte nachts pausenlos umher, setzte Urin und Kot in der Wohnung ab“, so Engert. Bei alten Katzen komme es häufig vor, dass sie die Toilette nicht mehr finden, im Dunkeln ständig schreien und die Besitzer überfordert sind. Die Situation führe nicht selten dazu, dass das Tier ins Heim gegeben werde.

Studien bei Hunden legen den Schluss nahe, dass ein Auftreten der Gehirnerkrankung mit dem Alter wahrscheinlicher wird. „Etwa 60 Prozent aller Hunde im Alter von elf Jahren zeigen Symptome“, erklärt Engert. Die Entwicklung sei auch abhängig von der Rasse. Der Bundesverband für Tiergesundheit verweist auf eine Studie, der zufolge mehr als 20 Prozent der Hunde im Alter von mehr als neun Jahren und 68 Prozent der Hunde über 15 Jahren betroffen sind.

Susis Tierärztin Imke Tammena beschreibt die Fachliteratur zu der Krankheit als eher spärlich – noch beschäftige diese eher die Tierhalter. Da Haustiere immer älter würden, die diagnostischen Möglichkeiten sich laufend weiter entwickelten und Besitzer auch bereit seien, mehr für ihre alten Tiere auszugeben, werde das Thema aber sicher immer aktueller in Wissenschaft und Forschung, erklärt sie. An der Wurzel packen lässt sich die Erkrankung bisher nicht.

Albrechts haben sich mit Susis Krankheit arrangiert. Jeden Abend mischen sie Medizin, mit der die Symptome therapiert werden sollen, mit etwas Butter und passen auf, dass die Katze auffrisst. Dann richten sie Susis Lieblingsplatz auf einem Stuhl in der Küche her, stellen das Katzenklo daneben und hoffen, dass Susi ohne Schmerz und Panik durch die Nacht kommt. Manchmal schreit sie noch. Warum? Das kann sie Albrechts am nächsten Morgen nicht sagen. Vielleicht wüsste sie es selbst gar nicht mehr.

Von Gisela Gross (dpa)