Der Maler der Maler

Der spanische Hofmaler des Barock Diego Velázquez malte nicht nur Adlige und die königliche Familie, er porträtierte auch Menschen mit Behinderungen. Nicht zum Amüsement der höfischen Gesellschaft, sondern als Menschen mit Würde und mit eigenständiger Persönlichkeit.

velazquez

Am königlichen Hof des 17. Jahrhunderts war die Anwesenheit von Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen keine Besonderheit. Sie galten als Naturspiele, gehörten zum „närrischen Gesinde“ und waren für die höfische Gesellschaft nahezu unverzichtbar. Als eigenständige Persönlichkeiten betrachtete man sie jedoch kaum. Wie der Narr dienten sie in der Regel der Zerstreuung und man machte sich über sie lustig. Anders Diego Rodríguez Velázquez, der Hofmaler des spanischen Königs Philipp IV. Er porträtierte nicht nur Adlige, Kirchenmänner und die königliche Familie, sondern auch die sich am Hof befindenden Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung – und er tat dies mit Würde. 

 

Selbstbildnis Diego Velázquez um 1650 Öl auf Leinwand, 45 x 38 cm © Valencia, Museo de Bellas Artes

Selbstbildnis Diego Velázquez
um 1650, Öl auf Leinwand, 45 x 38 cm
© Valencia, Museo de Bellas Artes

Diego Rodríguez de Silva y Velázquez

Velázquez wurde 1599 in Sevilla geboren, starb 1660 in Madrid und galt in seiner Zeit als junges Genie. Bereits mit elf Jahren arbeitete er in der Werkstatt des gut beschäftigten Malers Francisco de Herrera der Ältere. Mit 24 Jahren trat er als Hofmaler in den Dienst des spanischen Königs. Mit „Las Meninas“ („Die Hoffräulein“) schuf Velázquez eines der meist interpretierten Werke der europäischen Kunstgeschichte – und auch seine anderen Gemälde sollten noch viele Maler inspirieren. Der Impressionist Édouard Manet bezeichnete ihn sogar als „Maler der Maler“.

Bilder mit Würde

Velázquez war nicht der Erste, der Menschen mit Behinderung malte. Schon das Mittelalter kannte solche Darstellungen. Doch in seiner Art der Betrachtung galt Velázquez als Pionier. Nie karikierte er seine Gegenüber oder stellte eine Behinderung zur Schau. In seinen Bildern sind die Menschen kein untergeordnetes Beiwerk, sondern er begegnet ihnen auf Augenhöhe.

Selbst in seinem wohl berühmtesten Gemälde „Las Meninas“ („Die Hoffräulein“), einem Porträt der königlichen Familie, stellt er der Infantin Margarita ihr Hoffräulein Maria Bárbola – eine kleinwüchsige Frau – gleichberechtigt zur Seite. Niemand legt ihr wohlwollend die Hand auf den Kopf. Die Königstochter steht im Mittelpunkt des Geschehens und so auch Maria Bárbola. Aufrecht und selbstbewusst schaut sie dem Betrachter entgegen.

Egal, ob Velázquez den König malt, das Hoffräulein Bárbola oder den 15-Jährigen geistig zurückgebliebenen Francisco Lezcano beim Kartenspiel. Stets geht es ihm um das Wesen seines Gegenübers und stets versucht er, die Persönlichkeit bestmöglich einzufangen.

Der Kunsthistoriker Carl Justi (1832 bis 1912) bezeichnete Velázquez’ Bilder auch als „Augenblicksphotographien“. Gemeint ist damit nicht nur die Detailtreue der Gemälde, sondern auch die Unmittelbarkeit, mit der sie sprechen. Dabei lässt Velázquez den Hintergrund seiner Werke meist im Dunkeln. Ganz im Sinne des Spardiktats – der spanische Hof war zu Velázquez’ Zeit nahezu pleite – verzichtet er auf unnötigen Dekor oder sonstige Standes- und Statussymbole. Nichts soll vom Porträtierten und dessen Gesicht ablenken.

 

 

Velázquez gibt den Menschen eine Bühne

Velázquez malt Lezcano und die anderen Hofnarren nicht nur auf Augenhöhe: Velázquez gibt ihnen eine Bühne. Beispielhaft sind hier auch die Porträts des blinden Spaßmachers Juan Calabazas (Calabacillas) oder des kleinwüchsigen Sebastián de Morra. Der Maler stellt sie der höfischen Gesellschaft nicht untergeben zur Seite. Er porträtiert sie allein, gibt ihnen ein eigenes Bildnis. Mit einem in sich ruhenden Ernst blickt de Morra seinen Betrachter selbstbewusst und ohne mit der Wimper zu zucken an. Dahingegen wirkt Calabaza unbeholfen, sein Lächeln etwas schüchtern. Beide Bilder sind nicht nur Porträts, sie sind Zeugnisse ganz unterschiedlicher Charaktere.

Menschen mit Behinderung, Leibeigene, das „närrische Gesinde“ auf diese Weise, zuweilen sogar mit vollem Namen, zu zeigen, war zur Zeit Velázquez’ noch längst kein anerkannter Bildstoff. Wie Velázquez es schaffte, seine Bilder der Randständigen malen und zeigen zu dürfen, ohne mit dem König und anderen Gönnern in Konflikt zu geraten, lässt sich nicht genau sagen.

 

Hinweis: Der Bildband „Velázquez. Das vollständige Werk“ von José López-Rey, Odile Delenda, Wildenstein Institute gibt mit viel Liebe zum Detail Einblick in Velázquez‘ Laufbahn als Künstler. Die Autoren erläutern seine Malweise und zeigen, wie er es schaffte, seine Motive mit solch unnachahmlicher Lebendigkeit auszustatten. Dass Velázquez jedem seiner Porträtierten unabhängig von Stand oder Status mit Respekt entgegen trat, betonen auch López-Rey und Delenda: Die Darstellung einer alten Frau beim Eierbraten, aber auch das Bild eines Hofnarren waren ihm dabei genauso wichtig wie das Porträt des Königs oder Papstes. „Velázquez. Das vollständige Werk“ ist für 100 Euro im Taschen Verlag erschiene.