Früher fürchteten Eltern, dass ihren Kindern durchs Impfen Kuhhörner wachsen. Heute haben sie Angst, dass Impfungen Autismus auslösen könnten. Impfgegner gibt es, seit geimpft wird. Die US-Autorin Eula Biss hat darüber ein kluges Buch geschrieben.
In ihrem Essayband „Immun. Über das Impfen – von Zweifel, Angst und Verantwortung“ fragt sich Eula Biss, woher die Ängste der Menschen vor dem Impfen eigentlich rühren. Und wie berechtigt sie tatsächlich sind. Auf der Suche nach den Ursachen verbindet die Autorin Erkenntnisse aus Naturwissenschaften, Medizingeschichte und Literatur. Dabei räumt sie mit vielen gängigen Vorurteilen auf.
Vieles von dem, was Eula Biss schreibt, geht über das bloße Pro und Kontra der verbittert geführten Impf-Diskussion hinaus. Fesselnd werden die Texte vor allem dann, wenn ein geschichtlicher Zusammenhang hergestellt wird. Denn die Angst, dass einem Kuhhörner wachsen könnten, hat eine historische Ursache.
Während der großen englischen Pockenepidemie 1774 war es ein Bauer, der seine Familie eher zufällig gegen die gefährlichen Pusteln impfte. Mit einer Stopfnadel stieß er den Eiter einer infizierten Kuh seiner Frau und seinen beiden Söhne in die Arme. Die Nachbarn waren erst entsetzt über den dilettantischen Einsatz. Doch die Familie des Bauern blieb von der Epidemie verschont. Gut zwanzig Jahre später hörte der Landarzt Edward Jenner davon, impfte offiziell seinen ersten Patienten – und erntete den Ruhm.
Kein Ratgeber für besorgte Eltern
Der Sprache misst Biss viel Bedeutung bei. Denn die Worte, mit denen wir über das Impfen sprechen, prägen auch unsere Sicht auf den Vorgang. So nennen Briten eine Impfung „a jab“ – ein Begriff aus der Welt des Boxens, der einen kurzen, geraden Faustschlag beschreibt. Die Amerikaner setzen bei Impfungen einen „shot“, einen Schuss. Es ist kein Sprachgebrauch, der einen entspannten Umgang mit dem Impfen fördert.
Eula Biss entwickelt sich von Essay zu Essay von der Kritikerin zur Impfbefürworterin. Sie vertritt eine klare Haltung, ohne dabei belehrend zu sein. Für die junge Mutter bedeutet Impfen vor allem einen Akt der Solidarität: Denn gerade Menschen, die sich aufgrund einer Autoimmunschwäche oder anderen Erkrankung nicht impfen lassen können, seien auf den Schutz durch die Gemeinschaft angewiesen: „Unser körperliches Wohlergehen steht immer in Zusammenhang mit Entscheidungen, die auch andere betreffen“, sagt Biss.
„Immun“ ist kein Ratgeber, der besorgten Eltern die Impfentscheidung abnimmt. Aber das Buch weitet innerhalb der Impfdebatte die Perspektive und zeigt, wie viele unterschiedliche Standpunkte es gibt.
“Immun. Über das Impfen – von Zweifel, Angst und Verantwortung” ist im Carl Hanser Verlag erschienen und kostet 19,90 Euro.