„Gynäkologische Erkrankungen sind ein Tabuthema“ 

„Gynäkologische Erkrankungen sind ein Tabuthema“

© picture alliance/David Ebener

Endometriose – dieses Wort sagt den meisten nichts. Dabei ist die Erkrankung bei Frauen gar nicht so selten, und sie kann schwerwiegende Folgen haben. Eine Betroffene erzählt, woran man Endometriose erkennt und wie sie lernte, damit zu leben.

Martina Liel bezeichnet sich selbst als „Endofighter“, eine Kriegerin gegen Endometriose. Sie lebt seit mehr als 25 Jahren mit der tückischen Erkrankung, die kaum einer kennt, die aber Schätzungen zufolge jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter betrifft. Selbst Gynäkologen sind häufig ratlos, wenn vor ihnen eine junge Frau mit ungewöhnlich starken Regelbeschwerden sitzt. So war es auch bei Liel – bis sie sich mit 29 Jahren plötzlich auf einem OP-Tisch wiederfand. Sie weiß seitdem, dass sie sich ihre Beschwerden nicht eingebildet hat. Und sie will, dass es jungen Frauen nicht so geht wie ihr. Ein Gespräch mit einer Expertin für das eigene Leiden.

Teresa Nauber (dpa): Frau Liel, Sie haben Ihr Buch „Nicht ohne meine Wärmflasche» vor allem als Aufklärungsbuch verfasst. Also los: Was ist Endometriose?

Martina Liel: Das Wort Endometriose wird eigentlich für zwei unterschiedliche Sachverhalte verwendet. Es bezeichnet das Vorkommen von Zellen, die den Zellen aus der Gebärmutter, den Eileitern oder dem Gebärmutterhals ähneln, irgendwo anders im Körper. Das muss noch gar nicht bedeuten, dass jemand Symptome hat. Manchmal finden Ärzte diese Zellen auch zufällig bei einer Blinddarmoperation, und die Frau hatte nie irgendwelche Beschwerden. Man spricht aber auch dann von Endometriose, wenn diese Zellen Probleme bereiten – zum Beispiel innere Entzündungen, Blutungen, Verwachsungen oder Unfruchtbarkeit.

Warum bereiten diese Zellen Probleme?

Das weiß man noch nicht. Man weiß nicht einmal, wie die Zellen da hingelangen, wo sie eigentlich gar nicht hingehören. Es gibt zwar Theorien, aber man muss klar sagen: Keine davon ist belegt.

© privat

Zur Person

Martina Liel wurde 1975 in Andernach im Rheinland geboren. Als sie 29 Jahre alt war, wurde bei ihr Endometriose diagnostiziert. Sie bloggt auf www.endobay.de und hat 2017 das Buch „Nicht ohne meine Wärmflasche“ veröffentlicht. Liel lebt seit kurzem in Schottland. Damit hat sie sich einen lang gehegten Traum erfüllt.

Frauen müssen ihre Regelschmerzen aushalten

Die Erkrankung wurde bei Ihnen erst mit 29 diagnostiziert, Sie hatten aber schon lange Beschwerden. Welche waren das?

Ich wusste schon mit 15, als ich meine Periode bekam, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich hatte so heftige Schmerzen, dass ich direkt zum Frauenarzt gegangen bin. Dort wurde ich mit den Worten abgespeist: Das ist ganz normal. Das entsprach zwar nicht meinem Gefühl, aber natürlich glaubt man es dem Arzt erstmal. Das Tückische ist, dass sich Endometriose bei manchen nur während der Periode zeigt, sich also sozusagen dahinter versteckt. Das war bei mir der Fall. Mir war vor der Periode sehr übel und währenddessen hatte ich starke Schmerzen. Ich entwickelte außerdem Neurodermitis und Allergien, hatte ständig Blasenentzündungen. Was auffiel: Die starken Beschwerden während der Periode begannen mit der Einnahme einer Östrogen-betonten Pille. Östrogen einzunehmen ist bei Endometriose wie Öl ins Feuer zu gießen. Das Hormon kann die Krankheitsherde aktivieren.

Konnten Sie mit jemandem darüber sprechen?

Seien wir ehrlich: Gynäkologische Erkrankungen sind nach wie vor ein Tabuthema. Es gehört sich einfach nicht, sich als Frau über Regelschmerzen zu beklagen. Das müssen wir eben aushalten, wurde mir immer vermittelt. Frauen bekämen ja schließlich auch unter Schmerzen Kinder.

Erst mit 29 bestätigte sich dann Ihr Verdacht, dass das nicht normal ist – in einer sehr dramatischen Situation…

Ja, das stimmt. Ich hatte plötzlich heftigste Schmerzen und musste ins Krankenhaus. Dort hat man mich sechs Stunden lang notoperiert. Die Ärzte haben vier Kilogramm Gewebe, einen riesigen Haufen an Verwachsungen und Tumoren, aus meinem Bauch geholt. Dabei musste auch ein Teil meines Enddarms entfernt werden, weil die Tumore dort hineingewachsen waren. Mir wurde danach gesagt, dass diese Operation mein Leben gerettet hat. Die Wucherungen hätten auch platzen können, dann wäre es zu spät gewesen.

Und da erst haben Sie erfahren, dass Sie Endometriose haben. Wie ging es Ihnen damit?

Die Diagnose hat ein Gefühl der Erleichterung gebracht, nach dem Motto: Ich habe mir das nicht alles eingebildet. Dann kam eine Phase der Wut darüber, dass dem nicht früher nachgegangen wurde…

… weil man die Endometriose-Herde dann früher hätte entfernen können?

Man muss klar sagen: Heilen kann man Endometriose nicht, egal, wie früh man es erkennt. Aber Ärzte können ein solches Ausmaß wie bei mir durch eine rechtzeitige Bauchspiegelung eventuell verhindern.

Das Fortschreiten der Erkrankung lässt sich kaum beeinflussen

Endometriose zu erkennen ist, wie Ihr Beispiel zeigt, gar nicht so einfach. Wann sollte eine junge Frau skeptisch werden?

Starke Regelschmerzen sind immer ein Alarmsignal. Die können auch vor oder nach der Periode auftreten. Ein Hinweis sind auch alle Schmerzen und Entzündungen im Körper, die zyklisch kommen. Es gibt zum Beispiel Frauen, die bekommen in regelmäßigen Abständen Schmerzen im Bein. Manche Frauen haben zyklisch Probleme, die einem Reizdarm oder einer Reizblase ähneln, die Ärzte finden aber keinen Grund dafür. Auch dann sollte man an eine mögliche Endometriose denken.

Was ist zu tun, wenn man solche Symptome hat?

Ich würde auf jeden Fall gleich in ein Endometriosezentrum gehen und nicht zum normalen Gynäkologen. Und bekäme ich heute noch mal die Diagnose, würde ich auch anders leben und mich sehr viel mehr um mich kümmern – mich gesund ernähren, Stress reduzieren, viel Sport treiben. Das stärkt die allgemeine Konstitution und kann sich positiv auf das eigene Schmerzempfinden auswirken. Die Progression der Erkrankung selbst lässt sich nicht beeinflussen.

Wie gelingt es, das zu akzeptieren?

Als Erstes muss man selbstbewusst genug werden, sich abzugrenzen. Das Leiden unter der Endometriose kommt zumindest bei mir zu etwa 70 Prozent von der Erkrankung, zu 30 Prozent aber davon, sich immer dafür rechtfertigen zu müssen. Dafür, dass man nicht funktioniert, obwohl man doch so jung ist und eigentlich jetzt ins Berufsleben starten, netzwerken und auf Partys gehen müsste. Man muss lernen, ganz selbstbewusst zu formulieren: Ich habe eine chronische Erkrankung, es ist okay, dass ich jetzt nicht funktioniere. Das ist der erste wichtige Schritt.

Wie lernen Patientinnen das? Gibt es etwas, das Ihnen dabei geholfen hat?

Ich habe eine Verhaltenstherapie gemacht. Dazu kann ich raten, denn es hat mir sehr geholfen, mit der Krankheit umzugehen. Es ist auch gut, sich mit anderen zu vernetzen. Ich bin in eine Selbsthilfegruppe gegangen und der Endometriose-Vereinigung Deutschland beigetreten. Man fühlt sich dort verstanden, man fühlt sich wieder etwas „normaler“ und man tauscht Tipps aus. Auch durch den Schreibprozess für mein Buch bin ich selbstbewusster geworden und kann besser mit meiner Erkrankung umgehen.

Interview: Teresa Nauber (dpa)