Seit das elastische Flossband unter Physiotherapeuten bekannt wurde, legte es eine steile Karriere hin. Das feste Umwickeln von Gliedmaßen und Gelenken soll Schmerzen lindern und Patienten beweglicher machen. Was ist dran?
Wenn ein Fußballprofi von Hannover 96 Schmerzen hat oder seine Glieder sich etwas steif anfühlen, dann greifen die Physiotherapeuten des Bundesligisten gerne zum Flossband. Hat der Spieler etwa Knieschmerzen, wickeln sie das zwei Meter lange und fünf Zentimeter breite Naturkautschuk- oder Latexband sehr fest um das Gelenk und lassen ihn zum Beispiel Kniebeugen machen. Anwendungsgebiete können auch andere Körperregionen von den Füßen bis zu den Schultern sein. Für die Patienten ist das schmerzhaft, häufig fühlen sie sich danach aber besser. „Es ist fast täglich im Einsatz“, sagt 96-Gesundheitsmanager Dominik Suslik.
Physiotherapeut Thomas Metzger bietet Flossing in seiner Praxis in Schwäbisch Gmünd an. Er bezeichnet es als therapeutisches Werkzeug zur Kompression und Mobilisation. Bindet man Gewebe etwa am Arm ab, werden an dieser Stelle alle Ströme einschließlich der Blutzufuhr unterbrochen, erklärt er. Löst man das Band wieder, würde das Gewebe kräftig durchspült. Das fördere die Durchblutung und transportiere Abfallstoffe ab – so jedenfalls die Theorie.
Faszien brauchen Bewegung
„Das Gewebe im Körper wird also gereinigt“, sagt Metzger. Das sei ungefähr so, wie wenn beim Autowaschen der Schwamm schmutzig wird. „Dann pressen Sie den Schwamm aus und es geht mit frischem Wasser weiter.“ Die Phase des Einwickelns dauert ein bis drei Minuten.
Metzger kombiniert die Behandlung stets mit Bewegungsübungen. Ihm zufolge entstehen dadurch ähnlich den Übungen im Faszientraining mit der so genannten „Blackroll“ Reibungen, die die Gewebeschichten gegeneinander verschieben (siehe: Aufgeklärt „Blackroll“). Das löse Verklebungen und erhöhe die Beweglichkeit des Patienten, erklärt der Physiotherapeut. Das wiederum fördert auch die Leistungsfähigkeit, ergänzt Suslik.
Faszien bilden das Bindegewebe, das neben den Muskeln auch alle Gelenke und Organe umschließt und den Körper wie ein Netzwerk durchdringt. Sie brauchen Bewegung, um elastisch und gleitfähig zu bleiben. Der Vorteil des Flossbands ist, dass es im Unterschied zur Faszienrolle einen bestimmten Körperabschnitt ringsum umschließt, während die Rolle nur auf einer Seite ansetzen kann.
In der Physiotherapie wird Flossing aber auch eingesetzt, um Schwellungen nach akuten Sportverletzungen möglichst klein zu halten oder gar nicht erst entstehen zu lassen.
Besonders betont Suslik einen Effekt, der im Fokus aller Behandlungen von Beschwerden und Verletzungen steht: Schmerzlinderung. Weil der Therapeut mit dem Flossband direkt auf der Haut arbeitet, beeinflusst er die Mechanorezeptoren. Stimuliere man sie, würden sie die Schmerzsensoren überlagern. „Je aktivierter die Mechanorezeptoren sind, desto stärker werden Schmerzen gehemmt. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.“
Das Flossing selbst ist für Patienten allerdings schmerzhaft und die Bewegungen gegen den Druck des Bandes sehr anstrengend. Das ist gewollt, um den besten Effekt zu erzielen. „Es ist aber noch nicht ganz klar, wie viel Druck dem Gewebe wirklich gut tut“, sagt Metzger. „Das kann bei bestimmten Patienten auch zu viel sein.“ Dann wickelt er das Band lockerer.
Manchmal sollte man es ganz lassen. Als Ausschlussfaktoren nennen die Experten zum Beispiel Hautkrankheiten, Knochenbrüche, Thrombosen, eine Herzinsuffizienz oder Nervenerkrankungen.
„Wer heilt, hat Recht”
Ein völlig neuer Ansatz ist Flossing nicht. Kompressionen und Wickelungen gibt es in der Therapie schon lange, erläutert Metzger. Neu ist lediglich das elastische Band an sich. Der Physiotherapeut und Trainer Kelly Starret aus den USA hat es 2014 unter dem Namen „Voodoo Flossing“ bekanntgemacht.
Auch wenn viele Patienten gute Erfahrungen mit dem Flossband machen: Wissenschaftlich bewiesen ist seine Wirkung noch nicht. Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln findet das aber nicht schlimm: „Wer heilt, hat Recht. Da muss man nicht immer alles beweisen“, sagt der Leiter des Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation.
Froböse ist allerdings skeptisch, ob Flossing mehr als ein vorübergehender Trend sein kann. „Die Methode hat einen kleinen Vorteil im therapeutischen Alltag. Man braucht keine hohe mechanische Belastung und benötigt daher weniger Zeit“, sagt er. Dass man mit dem Abschnüren und dem Unterbrechen der Blutzufuhr den gleichen Effekt wie bei einem Krafttraining erzielt, bezweifelt er.
Zwar bringt man den Körper in beiden Fällen in eine Sauerstoffnot, wodurch die Muskeln eventuell wachsen. „Beim Flossing habe ich aber nicht die neuro-muskuläre Stimulation der Muskelfasern“, sagt Froböse. Die aber ist ihm zufolge wichtig für die Stabilität und Leistungsfähigkeit des Körpers im Alltag. Zudem regt sie den Stoffwechsel an, denn Muskeln sind das größte Stoffwechselorgan des Körpers.
Andererseits biete Flossing bei Schmerzen die Möglichkeit, bereits einzugreifen, wenn der Patient noch nicht belastbar ist. Das ist laut Froböse sicher ein Vorteil der Methode.
Von Matthias Jung (dpa)