Immer mehr Menschen schauen ständig in ihr Smartphone – ob in der U-Bahn, im Bus oder auf der Straße. Ist das schon Sucht? Man weiß noch wenig über Computerspiele- und Internetsucht, aber sie ist real.
Der letzte Griff vor dem Einschlafen gehört dem Smartphone: schnell nochmals in den sozialen Netzen checken. Und auch der erste Griff nach dem Aufwachen gilt dem Gerät, das die Verbindung zur „Außenwelt“ bedeutet. Ein Tag ohne soziale Netzwerke ist Entzug. Probanden etlicher Studien berichteten von innerer Unruhe und Nervosität, sobald sie längere Zeit von ihren Medien „abgeschaltet“ waren. Hier könnte eine neue Suchtwelle auf die Gesellschaft zukommen, über die man bisher nur wenig weiß.
Wie kann man Online-Sucht bei seinen Kindern feststellen?
Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) nannte als typische Anzeichen einer Online-Sucht, wenn Kindern sich unleidlich verhalten, nicht pünktlich aufstehen, sich nicht waschen und nicht pünktlich zur Schule gehen. Entsprechend kommt es zu häufigem Schwänzen und schlechten Schulnoten. Oft kämpfen diese Kinder und Jugendlichen auch mit Schlafproblemen. Bei Computerspielabhängigkeit beobachtet man psychische Erkrankungen bis hin zur Depression. – Internetsucht ist noch nicht offiziell als Krankheit anerkannt.
Wie kommt man da raus?
Mortler meint: „Der Zeigefinger bringt nichts.“ Man müsse sich mit den Kindern und ihren Problemen im positiven Sinne auseinandersetzen. Wenn das keinen Erfolg bringe, müsse man eine Beratung aufsuchen. Die Suchtberatung vor Ort in den Kommunen müsse allerdings noch deutlich verbessert werden. Die Kommunen müssten erkennen, dass hier eine neue Herausforderung auf die Gesellschaft zukomme. Für viele Eltern ist es aber schwierig, Regeln für die Nutzung von Computerspielen und Internet aufzustellen. Anders als ihre Kinder sind sie in der Regel nicht in die Internetwelt hineingeboren.
Was bringt der Drogen- und Suchtbericht 2016 noch?
Er fasst zudem die bereits im April vorgestellten Berichte zur Drogenkriminalität und zum Drogenkonsum von Jugendlichen zusammen. Danach nahm nach Jahren des Rückgangs die Rauschgiftkriminalität in Deutschland wieder zu. 2015 sind 1226 Menschen an ihrem Drogenkonsum gestorben, rund 19 Prozent mehr als im Vorjahr. Die registrierten Drogendelikte stiegen um zwei Prozent auf 282 600 Fälle. Vor allem die harten Drogen Heroin und Kokain sind demnach wieder auf dem Vormarsch.
Jährlich werden zwar immer noch mehr als 15 000 Fälle von Rauschtrinken von Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 17 Jahren registriert. Doch der Trend ist deutlich rückläufig. Beim Rauchen gibt es einen historischen Tiefstand. Nur noch 7,8 Prozent der Jugendlichen greifen zur Zigarette und etwas mehr als jeder vierte junge Erwachsene. Um die Jahrtausendwende waren es noch rund 28 Prozent der Jugendlichen und gut 45 Prozent der jungen Erwachsenen.
Gibt es Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen?
Ja, sagt Mortler. Die Mädchen verlieren sich eher in den sozialen Netzwerken. Die Jungen stehen mehr auf Computerspiele. Gespielt wird nicht nur am PC und der Spielkonsole, sondern zunehmend auch auf mobilen Spielgeräten, etwa auf dem Smartphone. Nutzer von Onlinerollenspielen, Onlineshootern – sogenannten Ballerspielen – oder Strategiespielen sind besonders gefährdet.
Gibt es soziale Unterschiede bei der Gefährdung?
Im Grunde kann es Kinder und Jugendliche in jeder sozialen Schicht treffen, die sich vernachlässigt fühlen. Doch Personen mit geringer sozialer Kompetenz seien besonders gefährdet, ebenso Jugendliche von Alleinerziehenden. Allerdings sei hier weitere Forschung nötig.
Wie sieht die aktuelle Datenlage für Online-Sucht aus?
Die Drogenbeauftragte geht auf der Basis verfügbarer Studien davon aus, dass unter den 14- bis 64-Jährigen schätzungsweise 560 000 Menschen als internetabhängig bezeichnet werden können. Das entspricht einem Prozent. Eine weitere halbe Million sei zumindest stark gefährdet.
Kinder und Jugendliche sind erwartungsgemäß mehr gefährdet als Ältere. Bei den 14- bis 24-Jährigen zeigen 2,4 Prozent Anzeichen einer Abhängigkeit, bei den 14- bis 16-Jährigen sind es vier Prozent. Die Studien, auf die sich Mortler bezieht, sind nicht ganz neu. Aber grundsätzlich ist es schwer zu definieren, wo Computerspiele- oder Internetsucht anfängt und wo bloße Gefährdung aufhört. Entsprechend können die Abhängigkeitsraten bei einigen Studien auch höher liegen.
Von Ruppert Mayr (dpa)