Plötzlich ist da nur noch Leere 

© picture alliance/JOKER

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Wenn ein Angehöriger oder Freund stirbt, bricht eine Welt zusammen. Für Jugendliche sind solche Erfahrungen besonders schlimm. Wichtig ist, dass die Trauer einen Platz im Leben bekommt.

Es ist ein sonniger Tag Anfang Mai, als der Anruf kommt, der Anna-Maries* Leben für immer verändert. Sie war gerade einmal 18, als ihre große Schwester plötzlich Suizid begeht. Für Anna-Marie bricht eine Welt zusammen. „Die erste Zeit habe ich nur im Bett gelegen, unfähig mich zu bewegen, mit starrem Blick an die Wand gerichtet. Ich konnte am Anfang nicht einmal weinen“, erinnert sie sich drei Jahre danach. In sich fand sie nur Leere. Es war, als liege ein Stein auf ihrer Brust, der ihr die Luft zu atmen raubt. „Damals habe ich mich der Trauer so ausgeliefert gefühlt.“

Mit der Trauer überfordert

Wenn Jugendliche Erfahrungen mit dem Tod machen, ist das oft besonders hart, sagt Franziska Röseberg, Diplom-Psychologin und Mitherausgeberin des „Handbuch Kindertrauer“. Heranwachsende sind gerade dabei, ihren Platz im Leben zu finden, stecken mitten im Entwicklungsprozess. Trauer ist ein völlig neues, unerwartetes Gefühl, mit dem sie erst einmal überfordert sind.

Manche trauernden Jugendlichen finden Hilfe bei einer Trauerberatung. Eine davon ist „Klartext“ – ein Projekt des Kinder- und Jugendhospiz Balthasar in Olpe. Betroffene können sich anonym via Telefon, E-Mail oder Chat mit erfahrenen Trauerbegleitern austauschen. Circa 250 Chatkontakte, 150 E-Mails und 300 Telefonate gingen bei Klartext im vergangenen Jahr ein.

„Es gibt kein Standardprogramm, mit dem man die Jugendlichen abwiegeln kann“, sagt Marion Riese, Mitarbeiterin bei Klartext. Am wichtigsten sei, einen vertrauensvollen Raum für tiefe Gespräche zu schaffen und zuzuhören. Sie spricht mit den Jugendlichen über Ängste und Sorgen, über witzige und schöne Begebenheiten mit dem Toten, über den Schmerz, die Verzweiflung und die Zukunft. „Wir geben Hilfe zur Selbsthilfe, versuchen zu unterstützen“, beschreibt sie ihre Arbeit.

Gefühle brauchen ein Ventil

Anna-Marie suchte das Gespräch mit ihren Freunden. „Aber auch nur, wenn meine Freunde mich darauf angesprochen haben. Es ist zwar immer noch sehr schmerzhaft darüber zu sprechen, aber im Nachhinein tut das so gut. Als würde ein Stein vom Herzen fallen“, erzählt sie. Im Familienkreis dagegen fällt es ihr schwer zu trauern.

Laut Marion Riese kein Einzelfall. Viele Jugendliche halten ihre Trauer in der Familie zurück, um die anderen zu schützen oder ihnen eine starke Schulter zu bieten. Schließlich trauern alle. Dabei ist es ihrer Ansicht nach wichtig, jungen Menschen einen Platz für ihre Trauer zu bieten. Ein Weg kann das Gespräch sein, aber auch kreative Beschäftigungen wie Malen, Tagebuch schreiben oder Sport können ein Ventil sein.

Welche Bedürfnisse ein trauernder Jugendlicher hat, ob er lieber abgelenkt oder angesprochen werden möchte, hängt von ihm selber ab. „Jedem tut etwas anderes gut. Es kommt immer auf die Situation des Trauernden, auf den Tag, den Moment drauf an“, erklärt Psychologin Röseberg. Sie rät, die Betroffenen selbst zu fragen, wie man als Freund, Lehrer oder Bekannter mit der Situation umgehen sollte.

Die Trauer verändert sich

Im Lauf der Zeit verändert sich die Trauer. Am Anfang war die tote Schwester für Anna-Marie allgegenwärtig. „Ich habe nur an sie gedacht, jeden Tag“, erklärt sie. Mit Erinnerungen aus der gemeinsamen Kindheit und Jugend, aber auch an Ereignisse rund um den Todeszeitpunkt hat sie ihre Schwester gedanklich am Leben erhalten. „Ich wollte einfach, dass sie wieder da ist, ich mit ihr reden kann, sie unterstützen kann, mit ihr lachen kann“, sagt sie.

Marion Riese weiß aus ihren Gesprächen, dass bei Jugendlichen in der Regel die Trauer nach rund 13 Monaten an Intensität verliert. Laut Röseberg begleitet der Verlust die Nahestehenden ein Leben lang. „Gerade bei einschneidenden Ereignissen wie Hochzeit oder Geburt des eigenen Kindes fühlt man sich wieder an die geliebte Person erinnert“, erklärt sie.

Heute fühlt sich Anna-Marie der Trauer nicht mehr so ausgeliefert. Sie denkt immer noch viel an ihre Schwester, aber die Gedanken vereinnahmen sie nicht mehr. „Ich habe gelernt, meine Trauer zu kontrollieren und ihr einen Platz in meinem Leben zu geben.“

* Name von der Redaktion geändert.

Von Verena Gabler (dpa)