Die Nervenkrankheit ALS schließt Menschen immer weiter im eigenen Körper ein – bis hin zur kompletten Lähmung. Mit einem Roboter wollen Forscher dieses Schicksal etwas erleichtern.
Schai Rischoni liegt auf dem Rücken und schaut auf einen Bildschirm über sich. Der 50-jährige Israeli ist querschnittsgelähmt. Er kann nicht sprechen und nur noch seine Augen bewegen. Kommunizieren kann Rischoni nur, indem er seinen Blick auf eine virtuelle Tastatur fixiert und so Botschaften schreibt. Was er schreibt, zeugt von seinem kämpferischen Geist: „Meine Krankheit definiert nicht, wer ich bin, und darf nicht mein Leben bestimmen.“ Eine weitere technische Hilfe soll nun seine Kommunikation mit der Außenwelt etwas verbessern.
„Schai ist schon seit mehr als drei Jahren komplett gelähmt“, sagt seine Frau Tami. Vor fünf Jahren hatte er die niederschmetternde Diagnose erhalten: Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), eine chronische und fortschreitende Erkrankung des zentralen Nervensystems. Der schon als junger Mann an ALS erkrankte britische Physiker Stephen Hawking (74) gehört zu den Langzeitüberlebenden. Der deutsche Maler Jörg Immendorff starb 2007 an der Krankheit. Vor zwei Jahren rückte die Krankheit ins Bewusstsein vieler Menschen: Zahlreiche Prominente schütteten sich bei der „Ice Bucket Challenge“ einen Eimer Eiswasser über den Kopf, um zum Spendensammeln im Kampf gegen ALS aufzurufen.
Amyotrophe Lateralsklerose
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) führt zu zerstörten Nerven und fortschreitender Muskellähmung. Die Betroffenen können sich im Verlauf der Erkrankung nicht mehr bewegen. Sie haben Schwierigkeiten beim Schlucken, Sprechen und Atmen, bleiben in der Regel aber geistig fit. Die Krankheit tritt häufig um das 50. Lebensjahr auf, etwa die Hälfte der Patienten stirbt innerhalb der ersten drei Jahre. Nur in Ausnahmefällen leben sie länger als ein Jahrzehnt mit der unheilbaren Krankheit. Die Todesursache ist meist Atemlähmung. In Deutschland gibt es nach Informationen der ALS-Hilfe etwa 8000 ALS-Patienten, rund 2000 Patienten sterben im Jahr.
Ein Roboter in Anzug und Krawatte
„Es hat ihn hart getroffen“, sagt Tami. Der frühere Marketing-Direktor und Vater zweier Jungen im Alter von 12 und 17 Jahren sei früher „unglaublich sportlich“ gewesen. „Er ist Marathon gelaufen, hat sogar beim Ironman mitgemacht.“ Inzwischen muss Rischoni in seinem Haus in Ramat Hascharon nördlich von Tel Aviv rund um die Uhr künstlich beatmet werden. Er hat einen Betreuer und braucht jeden Tag ausgedehnte Physiotherapie. Der früher so aktive Mann ist komplett von Anderen abhängig. Doch jetzt nimmt er an einem Versuch teil, der ihm zumindest zu ein bisschen mehr Freiheit verhelfen könnte.
Rischoni soll einen rollenden Roboter des Typs TeleBuddy steuern, der aus einer langen Stange auf Rollen mit aufgestecktem Ipad besteht. Da der 50-Jährige das nicht via Fernsteuerung mit seinen Händen tun kann, hat sich der israelische Forscher Roey Tzezana etwas überlegt. Er hat den TeleBuddy mit dem Bildschirm verknüpft, auf dem Rischoni sonst mit den Augen schreibt.
Nun soll der ALS-Kranke darüber dem Telebuddy Befehle geben. Zunächst tut sich nichts, doch nach einer Weile gelingt es: Der mit Anzug und Krawatte gekleidete Roboter bewegt sich wirklich. „Ahhh“, rufen die Anwesenden im Zimmer begeistert.Tzezana, Mitgründer der Firma TeleBuddy, spricht zumindest von einem Teilerfolg. „Allein die Tatsache, dass wir beweisen konnten, dass er den Roboter kontrollieren kann, ist ein Fortschritt“, sagt der 36-Jährige.
Auf Konferenzen könnte der TeleBuddy seinen physischen Körper ersetzen
„Der Roboter erfüllt mich mit Freude“, schreibt Rischoni selbst. Die Hoffnung ist, dass er in Zukunft mithilfe des Roboter etwa an internationalen Konferenzen teilnehmen kann. Die Maschine wäre für ihn auf der Tagung unterwegs und Rischonis Augen und Ohren. Auf dem Bildschirm des Ipads könnten andere Menschen Rischoni sehen. „Die Möglichkeit, dass ich auf der ganzen Welt zugegen sein kann, mit Leuten sprechen, und das alles von meinem Sofa aus, ist fantastisch.“ Der Roboter könne „den physischen Körper ersetzen“, sagt Tzezana.
Trotz seiner schweren Behinderung leitet Rischoni die Organisation Prize4Life, eine Stiftung, die Forschungserfolge im Bereich ALS finanziell belohnt. Im vergangenen Monat ist er mit seiner Familie und einem befreundeten Arzt sogar nach Georgien in den Urlaub gefahren. „Wir sind mit einem Jeep auf einen Berg gefahren und mit einem Hubschrauber über das Kaukasus-Gebirge geflogen“, schreibt er. „Es war nicht leicht, es war nicht bequem, aber das war es mir wert.“
Der Tübinger Hirnforscher Niels Birbaumer sieht den TeleBuddy als optimale Lösung für Patienten wie Rischoni. „Solange er die Augen hat, ist es das Beste“, sagt der Neurobiologe. „Natürlich kann er damit Roboter steuern“, meint Birbaumer. Da es sich aber um eine unweigerlich fortschreitende Krankheit handele, sei leider zu erwarten, dass „demnächst die Augen versagen“.
„Das Leben ist schön.“
Für Patienten, die nicht mehr zu Augenbewegungen in der Lage und daher vollkommen in ihrem Körper eingeschlossen sind, stehe ein anderes System zur Verfügung, das er mit seinem Team entwickelt habe, sagt Birbaumer. Eine Gehirn-Computer-Schnittstelle (BCI) kann die Hirnaktivität eines Menschen in Befehle an ein technisches Gerät übersetzen.
Rischoni setzt im Umgang mit seiner schrecklichen Erkrankung auch auf die Waffe schwarzer Humor. Er würde gerne als „Versuchskaninchen“ für das BCI-System dienen, schreibt er. Für die Zukunft habe er „keine Hoffnungen, sondern Pläne“. Er wolle weiter die ALS-Forschung vorantreiben helfen und im sozialen und wissenschaftlichen Bereich aktiv bleiben. „Das Leben ist schön.“
Von Sara Lemel (dpa)