Träume nicht nur im Kopf

In „Wie wir träumen“ erkundet der Autor Douwe Draaisma die Geschichte der Traumforschung. Dabei verknüpft er unterhaltsam historische Anekdoten mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

© Galiani

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„Um Bücher über Träume“, schreibt Douwe Draaisma bereits in der Einleitung, „habe ich immer einen großen Bogen gemacht.“ Ein überraschender Satz, jedenfalls von einem Autor, der gerade ein ganzes Buch über Träume geschrieben hat. Nach eigener Aussage konnte der an der Universität Groningen theoretische Psychologie lehrende Niederländer mit dem Thema „Traum“ lange Zeit nichts anfangen. Seine eigenen fand er langweilig und auch die von anderen interessierten ihn herzlich wenig.

Was die Neugier des Forschers schließlich weckte, waren die Träume von Geburtsblinden. Wie träumt ein Mensch von einer Welt, die er noch nie gesehen hat? Riecht er sie? Schmeckt er sie? Sind seine Träume wie Hörspiele? Plötzlich wollte Draaisma unbedingt mehr über Träume erfahren. Mit seinem Buch lässt er uns an seiner Begeisterung teilhaben.

Ein Ritt durch die Traumgeschichte

Anders als die unkonventionelle Einleitung vermuten lässt, geht Draaisma strukturiert und geordnet an die Sache heran. Akribisch arbeitet er die Typologie der Träume durch. Häppchenweise erfahren wir, was den Flugtraum so besonders macht, welche Gehirnregionen – die er liebevoll „Traumweber“ nennt – bei Albträumen aktiv sind und warum wir uns an manche Träume besser erinnern als an andere. Der Frage, was Blinde im Schlaf „sehen“, widmet Draaisma gleich zwei Kapitel.

Nicht fehlen darf natürlich Sigmund Freud, der Begründer der Traumforschung. Als Wissenschaftler ist Draaisma es jedoch gewohnt, seinen Forschungsgegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Der Autor zieht zwar den Hut vor Freuds Leistung, Träume „ernst zu nehmen“. Er macht allerdings auch deutlich, dass dessen Theorie nur eine unter vielen ist.

Keine trockene Wissenschaft

Tatsächlich bleibt „Wie wir träumen“ ein Buch der Wissenschaft. Ominöse Traumdeutungen gibt es nicht. Stattdessen untermauert Draaisma seine Schlüsse durch Studienergebnisse oder Befunde aus dem Schlaflabor. Gut auch, dass er sich nicht allein auf Erkenntnisse oder Sichtweisen des abendländischen Kulturraums beschränkt, sondern unter anderem auch fernöstliches Wissen aus China oder Japan miteinbezieht.

Mit dem Dozieren eines Professors hat das allerdings wenig zu tun. Tatsächlich ist Draaismas Ton sehr locker, fast freundschaftlich. Mitunter spricht er seinen Leser sogar direkt an, nimmt ihn an die Hand und sorgt dafür, dass er auf der Reise durch das Land der Träume nicht verloren geht.

Das Kind an der Wäscheleine

Träume – das macht Draismaa in seinem Buch klar – finden manchmal nicht nur im Kopf statt. Etwa beim Schlafwandeln. So erzählt er von einem jungen Mann, der träumt, der Kinderschutzbund wolle ihm seine vier Monate alte Tochter wegnehmen. Etwas später findet seine Freundin ihn auf dem Dachboden, wo er gerade dabei ist, das Kind an den Ärmeln seines Stramplers an die Wäscheleine zu hängen. Der Mann wollte das Baby verstecken – dummerweise nicht nur im Traum. Das Baby bleibt zum Glück unversehrt. Der Vater allerdings landet in der Psychiatrie.

Natürlich muss nicht jeder Schlafwandler zum Psychiater. Was Draaisma anhand solcher Traumgeschichten aber deutlich macht, ist, wie unterschiedlich Menschen auf ihre Träume reagieren und wie individuell und höchstpersönlich diese sind.

Es bleibt spannend

Eines wird beim Lesen von „Wie wir träumen“ klar: Je mehr wir über unsere nächtlichen Reisen in Erfahrung bringen, desto mehr können wir über uns lernen. Gleichzeitig werden ebenso viele neue Fragezeichen aufgeworfen. Warum wir überhaupt träumen, wer oder was für unser Traumerleben verantwortlich ist, lässt sich auch ein Jahrhundert nach Freud nicht sagen. Ein Grund mehr, sich von Draaismas Neugier anstecken zu lassen und gemeinsam mit ihm auf Entdeckungstour zu gehen.

Wie wir träumen ist im Verlag Galiani erschienen und kostet 22,99 Euro.