Die Lebenskrisen kommen früher. Ist mein Leben so, wie ich es mir vorgestellt habe? Und wo soll die Reise hingehen? Solche Fragen quälen schon Mittzwanziger – lange vor der altbekannten Midlife-Crisis.
Raus aus der Uni, rein ins Leben – das klingt nach Zukunft, nach Chancen und Möglichkeiten. Doch manche Menschen erleben die Jahre zwischen 25 und 30 nicht als Phase des Aufbruchs, sondern als Zeit der Krise. Zwei US-amerikanische Autorinnen prägten den Begriff Quarterlife-Crisis – zu Deutsch Krise nach dem ersten Lebensviertel. 2001 schrieben Abby Wilner und Alexandra Robbins, damals selbst gerade Mitte 20 und mäßig glücklich mit ihrem Leben, ihr gleichnamiges Buch.
Ein wissenschaftlich definierter Begriff ist die Quarterlife-Crisis nicht. “Aber wenn sich ein solcher Begriff durchsetzt, ist das kein Zufall. Dann stehen meist tatsächlich existierende Phänomene dahinter”, sagt Jugendforscher Klaus Hurrelmann, Professor für Bildungswissenschaften an der Hertie School of Governance in Berlin.
Die Anderen sind immer toller
Zum Beispiel sei die Jugend – früher eine kurze Übergangsphase zwischen Pubertät und Berufseinstieg mit gleichzeitiger Familiengründung – zu einem eigenständigen, 15 bis 20 Jahre währenden Lebensabschnitt geworden. “Das ist eine Art Wartehalle, in der man sich einrichtet”, sagt Hurrelmann. Aber irgendwann müsse man dann doch hinaus in die Erwachsenenwelt. Weil die Eltern die finanzielle Unterstützung zurückfahren, weil die Freundin sich eine gemeinsame Wohnung wünscht, weil man mit knapp 30 nicht mehr in seinem Kinderzimmer wohnen möchte. “Und so ein Übergang hat natürlich auch immer eine Zerstörungskomponente, die manche sehr belastet.”
Krisen an Wendepunkten des Lebens seien kein neues Phänomen, ist Steffi Burkhart überzeugt. Die 29-Jährige aus Köln versteht sich als Sprecherin ihrer Generation – der zwischen 1977 und 1998 geborenen Generation Y, die gern als leistungsorientiert und technikbegeistert, aber auch verunsichert und ich-bezogen beschrieben wird. Burkhart bloggt über das Thema und berät Unternehmen im Umgang mit den jungen Mitarbeitern.
Was sich verändert habe, sei die Vielzahl an Möglichkeiten, die sich an der Schwelle zum Berufsleben eröffnet, sagt Burkhart. Und die Tatsache, dass diese Social-Media-geübte Generation viel mehr über die Lebenswege der Freunde und Bekannten erfahre. “Da bekommt man schnell den Eindruck, dass die Freunde die tolleren Jobs oder die cooleren Partner haben, und zweifelt an den eigenen Entscheidungen.”
Optionen erzeugen Unsicherheit
Die Mittzwanziger “sind schwer mit dem Projekt beschäftigt, das eigene Leben zu managen”, erklärt Hans-Werner Rückert, Leiter der Zentraleinrichtung Studienberatung und Psychologische Beratung der Freien Universität Berlin. Selbstoptimierung sei ein wichtiges Thema, jeder scheine seines Glückes Schmied zu sein. “Doch das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn etwas schiefgeht, bin ich dafür verantwortlich – und das macht vielen Angst”, sagt der Diplom-Psychologe.
Das eigentlich Positive der Lebensphase, die Möglichkeit zum Aufbruch, wendet sich ins Gegenteil, die Weggabelungen sorgen für Unsicherheit: In welche Richtung soll ich abbiegen? In den sicheren, aber etwas langweiligen Job? Oder doch noch mal ins nächste Praktikum? In die gemeinsame Wohnung mit der Freundin oder dem Freund? Oder doch lieber ins Internet-Dating-Portal auf der Suche nach einer möglichen Alternative?
“Manche genießen das Spiel mit den Möglichkeiten, anderen macht die Unsicherheit Angst”, sagt Jugendforscher Hurrelmann. Es scheinen vor allem junge Akademiker zu sein, die in die Krise geraten: Wer nach dem Schulabschluss eine Ausbildung macht, legt sich meist eher auf einen Beruf fest, gründet oft auch früher eine Familie. Das verkürzt den Übergang ins Erwachsenenleben und macht ihn möglicherweise einfacher.
Krisen sind auch positiv
Kommen Studierende mit Zukunftssorgen in die Psychologische Beratungsstelle der Freien Universität Berlin, gehe es in den Gesprächen mit den Psychologen vor allem darum, unrealistische Zielvorstellungen zurechtzurücken, sagt Hans-Werner Rückert. “Wir versuchen deutlich zu machen, dass Entwicklung ohne Krisen nicht vorstellbar ist. Das ist für viele eine Botschaft, die sie so noch nicht gehört haben.” Generation-Y-Vertreterin Steffi Burkhart setzt vor allem auf den Rat von Mentoren: “Mir Vorbilder zu suchen und ihnen möglichst viele Fragen zu stellen, hat mir geholfen, die Fülle an Ideen und Optionen zu sortieren.”
Im Nachhinein, so ergab eine Studie der Universität Greenwich, empfanden viele Betroffene ihre Quarterlife-Crisis als positiv, weil sie Veränderungen in Gang brachte, die sich nachträglich als gut herausstellten. Mit Anfang 30 ist die Krise ohnehin meist ausgestanden – zumindest bis zur Midlife-Crisis.
Von Eva Dignös (dpa)