Die Balance zwischen Beruf und Privatleben zu finden, ist gar nicht so einfach. Wenn Stress überhandnimmt, können Meditation und Yoga helfen – oder Schweine. Beobachten, heißt die Zauberformel.
Auf der Suche nach Ruhe und Entspannung gehen manche Menschen ungewöhnliche Wege. So zum Beispiel Matthias Oppermann in Linz am Rhein: Er bietet Meditation mit Schweinen an. Acht Teilnehmer eines Kurses sitzen gerade mit ihm auf Gartenstühlen in einer Gruppe von sechs Göttinger Minischweinen. Und schauen den Tieren zu.
Schnüffelnd laufen die Schweine über die Wiese, ihre Bäuche schleifen fast über dem Boden, die Schwänze permanent in Bewegung. Zu den Meditierenden bleiben sie meist auf Abstand. Im Stall blöken Schafe, ein Eichelhäher ruft aus der Luft, Wasser plätschert in einem Teich. Doch nicht alle beobachten nur die Schweine, einige schauen einfach ins grüne Drumherum oder schließen die Augen. Schnaubend reibt sich ein Tier an einem Stück Holz, einige Teilnehmer lächeln.
Bei Hektik nehmen Schweine Reißaus
Die Schweine hätten eine natürliche Kraft in sich und lebten immer im Hier und Jetzt, erzählt der Sozialpädagoge und Hypnotherapeut Oppermann. “Viele Teilnehmer erleben eine beruhigende Wirkung der Tiere.” Hektische Menschen hätten bei den Schweinen keine Chance, dann ergriffen die Tiere die Flucht.
Nach Ansicht von Susanne Lucae, Fachärztin am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, haben gesellschaftliche Umbrüche – auch in der Arbeitswelt – dazu geführt, dass Menschen sich heute gestresster als früher fühlen. Die Anforderung, mehr Leistung zu bringen, bringe manchen an Grenzen.
Zum Problem werde Stress aber erst, wenn er über mehrere Wochen hinweg als Belastung empfunden werde, sagt die Wissenschaftlerin. “Wenn man abends nicht mehr zur Ruhe kommt und einem die Gedanken an die Arbeit auch am Wochenende die ganze Zeit durch den Kopf gehen, dann sind das Alarmsignale, dass man etwas tun sollte, um sich besser entspannen zu können.”
Langfristig könnte sonst die Gesundheit leiden. “Chronischer Stress gilt als einer der Hauptauslösefaktoren für Depressionen”, sagt die Expertin. Besonders das Gefühl, in einer ausweglosen, belastenden Situation festzuhängen, verursache negativen Stress. Entspannungstechniken wie Yoga und Mediation könnten beim Abbau helfen. Sie müssten aber auch regelmäßig ausgeübt werden.
Achtsamkeitsübungen mit Tieren
Oppermann erzählt, dass Meditierenden auf der Wiese in Linz plötzlich durch den Kopf schieße, was zu Hause noch alles erledigt werden müsse. Mit einer sogenannten Achtsamkeitsübung lenkt er dann ihre Aufmerksamkeit bei geschlossenen Augen erst auf ihre Hände und dann auf die Geräusche. “Das Denken beruhigt sich, und damit beruhigt sich auch ein Teil der inneren Gefühlswelt”, sagt er. Dann beobachten die Teilnehmer die Tiere eine Dreiviertelstunde lang.
Zusammen mit seiner Frau Andrea hat Oppermann seit 1993 eine Beratungspraxis. Was Tiere für den Menschen bedeuten, sei bei ihrer Arbeit ein wichtiger Aspekt. Daraus seien ein Buch und 2011 der Verein Artis entstanden. Wegen der großen Resonanz biete er die Meditation mit Schweinen ein Mal im Monat an. Mehr als 70 Teilnehmer konnte er in diesem Jahr schon begrüßen.
Kursteilnehmerin Edith Oehms ist nach 45 Minuten mit den Schweinen begeistert: “Wenn man sich darauf einlässt, ist alles andere weg.” Sie habe Ruhe gefunden und sei bei sich angekommen. Auch Iris Klesing, eine andere Teilnehmerin, meint: “Man beobachtet sonst nicht in der Tiefe, weil immer noch so viele Gedanken da sind.”
von Yvonne Stock (dpa), 11. November 2014