Zuwanderung: Trendwende bei den Krankenkassen

Zuwanderung: Trendwende bei den Krankenkassen

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Entwarnung für die Beitragszahler, Verjüngung, positive Finanzentwicklung: Den Krankenkassen geht es im Wahljahr glänzend. Dahinter steckt auch ein Mitgliederboom wegen der Zuwanderung.

Die düsteren Trends der Krankenversicherung erschienen bisher fest zementiert: Die Versicherten werden immer älter. Und es wird immer teurer. Jetzt melden die Krankenkassen eine Trendwende. Wie kommt das? Die wichtigsten Fragen im Überblick:

Was ist bei den gesetzlichen Krankenkassen passiert?

In den vergangenen Jahren warnten die Kassen immer wieder vor steigenden Beiträgen. 2018 dürften die Kassenbeiträge aber im dritten Jahr in Folge stabil bleiben. „Wir haben festgestellt: Alles was wir gesagt haben, stimmt irgendwie nicht“, sagt die Chefin des Kassen-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer. „Die Einnahmen sprudeln und die Ausgaben wachsen nicht so stark.“ Der Zusatzbeitrag, den die Mitglieder alleine schultern müssen, dürfte 2018 abermals im Schnitt bei 1,1 Prozent liegen. Er kommt zu dem von Arbeitgebern und -nehmern finanzierten Beitrag von 14,6 Prozent hinzu.

Warum ist die Lage der Kassen besser als gedacht?

Die gute konjunkturelle Entwicklung, hohe Tariflohnsteigerungen und Rekordbeschäftigung lassen die Einnahme der Krankenversicherung sprudeln. Laut Kassenverband verbuchten die Krankenkassen und ihre Geldsammel- und -verteilstelle, der Gesundheitsfonds, 2016 ein Plus von 757 Millionen Euro. Die Einnahmen pro Versichertem stiegen stärker als die Ausgaben. Einen Hauptgrund der guten Entwicklung sehen die Kassen in hunderttausenden neuen Versicherten.

Wie ist die Situation bei den neuen Krankenversicherten?

Allein 2016 kamen rund 484.000 Männer und 314.000 Frauen neu in eine gesetzliche Kasse – Arbeitsmigranten aus der EU, anerkannte Flüchtlinge sowie ehemals Privatversicherte. „Wir stellen in den letzten vier Jahren fest, dass wir eine deutliche Zuwanderung und Verjüngung haben“, sagt Pfeiffer. Vielfach handele es sich um junge Leute aus Spanien, Portugal oder Griechenland, die nach Deutschland gekommen seien, um hier zu arbeiten. Die Neuzugänge verursachten deutlich niedrigere Kosten, je nach Alter etwa zwei Drittel bis weniger als die Hälfte der Kosten der schon länger gesetzlich Krankenversicherten. Die Krankenversicherten insgesamt seien im statistischen Schnitt zuletzt auch nicht mehr älter geworden.

Sind Flüchtlinge für die Krankenkassen generell entlastend?

Nein. In den nun vom Kassenverband genannten Zahlen sind keine Hartz-IV-Empfänger enthalten. Derzeit zählt die Bundesagentur für Arbeit knapp 452.000 erwerbsfähige Hartz-IV-Bezieher aus den Asyl-Hauptherkunftsländern, aus dem Bereich Flucht/Migration insgesamt 513.600. Jeder dritte, der 2013 gekommen ist, hatte im vergangenen Jahr einen Job. Bei denen, die 2015 kamen, sind es nur 10 Prozent. Die Kassen beklagen insgesamt, dass sie für Hartz-IV-Bezieher nur eine Monatspauschale von jeweils 97 Euro vom Staat erstattet bekämen – dies sei „nicht annähernd ausgabendeckend“.

Wieviele Mitglieder und Versicherte haben die Kassen insgesamt?

Mit 55,5 Millionen zahlenden Mitgliedern verzeichnet die Krankenversicherung in diesem Jahr einen neuen Rekord. Rund 71 Millionen Menschen sind – nimmt man die beitragsfrei mitversicherten Angehörigen dazu – versichert.

Warum kosten die Neuzugänge weniger?

Laut Verbandschefin Pfeiffer liegt das wohl daran, dass sich vor allem gesundheitlich Fitte zum Arbeiten nach Deutschland aufmachen. Aber es könne auch sein, dass sie sich mit der Zeit an die gängigen Verhaltensmuster im Land anpassen – und dann öfter als zu Anfang zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen.

Ist für die Beitragszahler Entwarnung angesagt?

Für 2018 schon – längerfristig aber nicht. Der Kassenverband hält sich mit Zukunftsprognosen zurück. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagt: „Das ist die Ruhe vor dem Sturm. In Zukunft werden die Kosten stetig steigen.“ Allein eine Kostenexplosion bei Krebsmedikamenten dürfte nach seiner Prognose in den kommenden 15 Jahren Mehrausgaben von rund 30 Milliarden Euro verursachen. Kostensteigerungen gebe es auch in anderen Bereichen. So sei bei den Krankenhäusern eine „Marktbereinigung“ nötig.

Von Basil Wegener (dpa)